Dawes – Oh Brother

Dawes
(c) John Chu

Und dann waren es nur noch zwei: Vergangenes Jahr verabschiedeten sich mit Langzeit-Keyboarder Lee Pardini sowe Bassist und Gründungsmitglied Wylie Gelber zwei Viertel von Dawes im Guten. Übrig bleiben die Brüder Taylor und Griffin Goldsmith, die das Heft selbst in die Hand nahmen und nun das Gemeinsame betonen, wiewohl man die langjährigen Weggefährten vermisst. Entsprechend lässt sich „Oh Brother“, der Titel des inzwischen neunten Studioalbums, bewusst mehrdeutig auslegen. Und so bewegt man sich im vertrauten Fahrwasser, bringt etwas Wehmut mit und konzentriert sich zugleich auf die mehr als 15 Jahre andauernde kreative Partnerschaft der Goldsmiths.

Dass sich das Leben nicht immer so entwickelt, wie man sich das vorstellt, trägt „Surprise!“ bereits im Titel. Einer der längsten Songs dieser Platte behandelt die zahlreichen Irrwege und Wendungen, die sozusagen hinter dem nächsten Eck lauern. Bewusste Reduktion trägt dieses thematische Herzstück, zart und sorgsam vorgetragen, während die Gitarre leise singt. „King Of The Never-Wills“, der zweite Gigant, befasst sich auf bewusst zurückhaltende Weise mit dem Thema Sucht, nähert sich vorsichtig und wechselt dafür gekonnt in hohe Register, die auf sympathische Weise durch Mark und Bein fahren. Hier zeigen sich die Goldsmiths als fantastische Songwriter und Storyteller.

An anderer Stelle nimmt die Platte richtig schön Fahrt auf, allen voran der Opener „Mister Los Angeles“. Ganz so sonnig, wie es das Arrangement vermuten lässt, ist der Track vielleicht nicht, doch können die legeren Vibes ohne Frage sofort punkten. Der doppelte Boden schimmert auch in „House Parties“ durch, ein weiteres Spiel mit folkigen Americana-Vibes. Schnell ist der Track mitgesungen, brennt sich die Melodie ein. Luftige und doch dichte Texturen statten „Enough Already“ aus, das sich bestimmt und zugleich feinsinnig nach vorne arbeitet, während das Storytelling von „Hilarity Ensues“ zarte Abgründe in den Mittelpunkt rückt. Bevor man es merkt, fällt man bereits.

Keine großen Überraschungen, wohl aber große Songs – so oder so ähnlich lässt sich diese neue Platte in Nucleus-Besetzung zusammenfassen. Von unerwarteten Kniffen und Wendungen halten sich Dawes fern, besinnen sich stattdessen auf ihre Qualitäten und fahren damit richtig gut. Auch im Duo-Format sind die Goldsmiths richtig gut, treffen einmal mehr den charmanten Mittelweg zwischen Lebensfreude, Melancholie und schonungsloser Ehrlichkeit. „Oh Brother“ zelebriert die kompakte Präsentation, zollt den Weggefährten Respekt und geht einmal mehr angenehm offensiv mit den Schattenseiten um. Auch das neunte Album ist ein echter Leckerbissen geworden und setzt die nahezu unheimliche Serie fort.

Wertung: 4/5

Erhältlich ab: 11.10.2024
Erhältlich über: Dead Ringers (Cargo Records)

Website: dawestheband.com
Facebook: www.facebook.com/Dawestheband