Current Joys – East My Love

Current Joys
(c) Julien Sage

Der recht umfangreiche Output von Nick Rattigan bringt nicht nur Stilwechsel am laufenden Band mit sich, sondern auch den einen oder anderen Rückgriff. Obwohl er als Current Joys zuletzt das bewusst experimentell gehaltene Doppelalbum „Love + Pop“ mit Lil Yachty, Lala Lala und Slow Hollows veröffentlichte, entstand der neueste Longplayer eigentlich davor, direkt nach „Voyager“, und unterscheidet sich letztlich doch von all diesen Werken. „East My Love“ markiert die Verarbeitung eines Tiefpunkts, als Rattigan mit mehreren psychischen Problemen zu kämpfen hatte, und widmet sich Americana und Folklore, in Ton und Text.

Das eröffnende Doppel geht – wenig überraschend – direkt ans Herz und an die Substanz. So sägt und klagt „Echoes Of The Past“ mit erstaunlichem Selbstbewusstsein, das letztlich als Vorhang für den eigentlichen Gefühlszustand dient. Den hört man Rattigans Stimme bereits an, kämpferisch und doch fragil, näher denn je an Bright Eyes dran und zugleich knietief in folkloristischer Tradition verhaftet. Danach geht „California Rain“ aus sich heraus, irgendwo zwischen Aufbruchsstimmung, Hoffnung und etwas Resignation. Das bewusst massive, verspielte und schillernde Arrangement zeigt sich kämpferisch, wenngleich die Situation alles andere als einfach sein mag.

Am anderen Ende des Albums entwickelt sich der Titelsong zur Tour de Force. Achteinhalb Minuten Musik, an der kein Gramm Fett zu viel haftet, tastet sich langsam, schleppend, verträumt voran, schätzt die ruhigen Zwischentöne, die Quasi-Pausen, als emotionales Mittel zum Zweck. Geradezu gespenstische Chöre, große Songwriter-Kunst und ein gekonnt anschwellendes Finale begleiten einen der besten Songs, den Rattigan je geschreiben hat. Im direkten Vergleich wirkt „They Shoot Horses“ fast schon konventionell, schwingt sich mit bitterer, trauriger Süße aber ebenso zur Monstrosität auf. Nach der Vier-Minuten-Marke wartet musikalische Magie.

Eine weitere kleine Häutung bekommt Rattigan sehr gut und unterstreicht einmal mehr die packende Vielseitigkeit von Current Joys, wo man nie so ganz weiß, was man bekommt. Nur eines ist gewiss: Es wird richtig gut. Das gilt auch für „East My Love“, eine Meisterleistung in Songwriting und emotionaler Größe. Mit einer kleinen musikalischen Überraschung gelingt kathartische Aufarbeitung, begleitet von einer nicht minder bewegenden Bestandsaufnahme. Aus der Mördergrube wachseln Disteln, die tatsächlich zu blühen vermögen – ein packendes Wechselbad der Gefühle eines Künstlers, der keinesfalls vor schweren Themen zurückscheut und mehr denn je die eigene Klasse unterstreicht.

Wertung: 4/5

Erhältlich ab: 11.10.2024
Erhältlich über: Secretly Canadian (Cargo Records)

Website: www.currentjoys.com
Facebook: www.facebook.com/currentjoys