Sam Morton – Daffodils & Dirt
Eine singende Schauspielerin, deren musikalisches Duo ihren Namen trägt – was sich nach Papierform wie ein furchtbarer Ego-Trip liest, mutiert zu einer kleinen Offenbarung. Die mehrfach für einen Oscar nominierte Samantha Morton trifft auf Richard Russell, der unter anderem bereits Gil Scott-Heron und Bobby Womack produzierte. Russell hörte Mortons Ausgabe von ‚Desert Island Discs‘ und war von ihrer Musikauswahl und Erzählweise kombiniert. Eines ergab letztlich das andere, und so darf sich die britische Schauspielerin nun ihren Traum von der Musik verwirklichen. Gemeinsam nennt man sich Sam Morton, „Daffodils & Dirt“ ist der kunstvolle gemeinsame Auftakt.
Für die Texte ließ sich Morton von ihrem eigenen Leben inspirieren, geprägt von Kinderheimen, Pflegefamilien und Habseligkeiten in der Plastiktüte, jedoch fiktionalisiert und von Russell teils wie eine Collage arrangiert. Zu den interessantesten Stücken zählt „Purple Yellow“, von zartem Atmen begleitet, während Mortons hohe, ätherische Stimme durch Mark und Bein fährt, sich dabei jedoch anschmiegt. Das beateske und doch reduzierte Arrangement wird zum Markenzeichen, denn gerade die Leerstellen sind Russells Kunst. Ähnliches gilt für „Cry Without End“, ein weiteres Herzstück, das oftmals nur ganz, ganz vorsichtig durch verwaschene Träume wandelt.
Danach folgt mit „Broxtowe Girl“ ein Ausflug in Dub-Gefilde, der dennoch perfekt zum Sound des Duos passt. UB40-Legende Ali Campbell und Spoken-Word-Jazzer Alabaster DePlume mischen mit und unterstreichen das Unwirkliche dieses Tracks. Immer wieder scheint ein Hauch Portishead durch, doch „Hunger Hill Road“ intensiviert derlei Referenzen gar gekonnt. TripHop-Untertöne und die Schwere der eigenen Gefühlswelt befinden sich auf direktem Kollisionskurs. Abgeschlossen wird dieser Erstling durch „Loved By God“, basierend auf einem Gebet, das Morton im Alter von sieben oder acht Jahren schrieb – bewegend, schleppend, unwirklich und doch so konkret.
Unnahbare Intimität macht sich breit und umschreibt die Widersprüchlichkeit dieses ersten gemeinsamen Werks sehr gut. Samantha Mortons Gesang wirkt wie eine außerweltliche Präsenz, die sich jeglicher Kategorisierung entzieht, sogar durchaus ungreifbar anmutet und gerade deswegen so fasziniert. Die Lebenserfahrung schwingt in jeder Note mit und trifft auf eine fantastische Produktion, für die weniger mit absoluter Sicherheit mehr ist. Richard Russell lässt der Protagonistin den nötigen Freiraum und spannt zugleich einen roten Faden, der mitten ins Herz trift. „Daffodils & Dirt“ ist eine kalte emotionale Dusche von ausgesuchter Wärme, die berührt – Fortsetzung dringend erbeten.
Wertung: 4/5
Erhältlich ab: 14.06.2024
Erhältlich über: XL Recordings / Beggars Group (Indigo)
Bandcamp: sammorton.bandcamp.com
Instagram: www.instagram.com/samanthamorton