Gary Clark Jr. – JPEG RAW
Kreativer Stillstand war so und so nie die Sache von Gary Clark Jr., doch was der begnadete Blues-Gitarrist im Vorfeld seines vierten Studioalbums zelebriert, ringt Respekt ab. Eine musikalische Explosion steuert – mehr denn je – Soul, RnB und Funk an, inspiriert von einer mehrjährigen Pandemie, den Bürgerrechtsdemonstrationen nach dem Mord an George Floyd und dem schandhaften Versuch, das Kapitol gewaltsam zu erstürmen. All das ließ Clark Jr. seine Rolle in einer sich rapide verändernden Gesellschaft, auch in Hinblick auf seine drei Kinder, unter die Lupe nehmen. Die Arbeiten an „JPEG RAW“ setzten ungeahnte Energien frei und wurden zum Soundtrack eines Films, der erst gedreht werden muss.
Diese musikalische Öffnung rief unter anderem zahlreiche prominente Gäste auf den Plan, allen voran zwei Legenden. Stevie Wonder mischt in „What About The Children“ mit. Der funkige Track bringt zwei starke Stimmen zusammen, dazu Clarks lässige Gitarre. Wonder stellt sich gegen herzlose Menschen, die nicht an die nächste Generation denken wollen – eine mitreißende, aufwühlende Nummer. Funk-Großmeister George Clinton taucht im lässigen „Funk Witch U“ auf, das sich ganz lässig zurücklehnt und den Song kommen lässt. Es passiert auf den ersten Blick nicht viel, doch liegt gerade darin große Klasse.
„This Is Who We Are“ mit Naala ist so etwas wie das Mission Statement zu Clarks neuem Sound – eine futuristische, schwer greifbare Präsentation, die Rock, Elektronik und RnB in einen großen Topf wirft und sich durchkämpft. Der Wortschwall im Titelsong „JPEG RAW“ (ein Akronym der Begriffe Jealousy, Pride, Envy, Greed, Rules, Alter Ego, Worlds) überrascht mit HipHop-Nähe und pulsierender Lead-Gitarre, die gekonnt mit jazzigen Vibes harmoniert. All das verblasst jedoch im Angesicht von „Habits“, dem neunminütigen Finale, das sich mit dem Ablegen schlechter Angewohnheiten befasst. Was zart und understated anrollt, entwickelt sich mehr und mehr zum Showcase für das virtuose Gitarrenspiel des Protagonisten mit einem ellenlangen, aufwühlenden Crescendo.
Die anfängliche Überforderung ist bei „JPEG RAW“ quasi serienmäßig dabei. Ja, das ist immer noch Gary Clark Jr. samt Gitarre, bloß musikalisch etwas anders aufgestellt. Er holt immer noch gar Unglaubliches aus seinen Saiten heraus, wie nicht nur der Schlussakt eindrucksvoll demonstriert, öffnet sich aber musikalisch nun vollkommen. Das Ergebnis wirkt futuristisch und doch retro, mit beiden Beinen fest in der Blues- und Soul-Tradition verhaftet, ohne sich vor modernistischen RnB-Einflüssen und pulsierend-funkigem Rock zu verschließen, von unzähligen Zwischentönen abgesehen. In Verbindung mit Texten, die sich direkt ins Herz bohren, schafft Clark Jr. etwas andere Magie, die sich alle Zeit und Geduld der Welt redlich verdient … und fürstlich entlohnt.
Wertung: 4/5
Erhältlich ab: 22.03.2024
Erhältlich über: Warner Records (Warner Music)
Website: www.garyclarkjr.com
Facebook: www.facebook.com/GaryClarkJr