Glitterer – Rationale
Nachträglich bezeichnete Ned Russin die Arbeiten an „Life Is Not A Lesson“, dem zweiten Album seines Solo-Schauplatzes Glitterer, als einsame und grauenvolle Erfahrung, wiewohl man das dem Ergebnis nicht anhörte. Russin hatte zu dieser Zeit zu arbeiten begonnen und merkte nach und nach, dass sein Projekt zur Band reifen musste, um zu überleben. Diese ließ sich recht schnell rekrutieren, die Keyboard-Parts übernahm sogar seine Chefin Nicole Dao, die zu diesem Zeitpunkt keinen einzigen Song geschrieben hatte. Tatsächlich erwies sich dieses Coming of Age von Glitterer aber als kreativer Glücksgriff, wie das nunmehr dritte Album „Rationale“ recht eindrucksvoll unter Beweis stellt.
Auf den ersten Blick hat sich nichts geändert, Glitterer fassen sich bei zwölf Songs in unter 22 Minuten abermals sehr kurz. Musikalisch scheint das Ding aber hörbar gewachsen. Songs wie „Plastic“ klingen trotz roher Präsentation um einiges größer und erhalten durch das Keyboard sogar einen leichten Power-Pop-Ansatz – harmonisch, stilvoll und vorwitzig, während die Gitarren derbe Breitseiten servieren. Die marschierenden Drums von „Certainty“, gepaart mit sehnsüchtigen Vocals, schaffen ein kleines Highlight voller Hooks und Hymnen, druck- und stilvoll zugleich, bevor ein entfremdetes Solo charmant abkackt.
Das abschließende „Half Truth“ nähert sich sogar mutig der Drei-Minuten-Marke und nutzt diesen neuen kreativen Freiraum doppelt und dreifach aus. Glitterer marschieren zielstrebig dem Untergang entgegen und schütteln – quasi im Vorbeigehen – eine von vielen fantastischen Melodien aus dem Ärmel. Der drückende Basslauf, die feinen Keyboard-Soundscapes, der ominöse, ausgedehnte Abgang … all das greift prima ineinander. „Big Winner“ serviert hingegen Gaze-lastigen Power-Pop der besonders eingängigen Sorte, der nach einer Minute viel zu früh abbricht und in die knackige Hymne „Recollection“ samt Slacker-Exkurs führt – kann man auch so machen.
Überhaupt ist das hier – wenig überraschend – eine richtig feine Angelegenheit geworden. Es wäre ja nicht so, dass Ned Russin bislang schwache Songs aufgenommen hätte, doch profitieren Glitterer hörbar von der Band-Besetzung. Deutlich präsentere Instrumentenvielfalt, zusätzliche kreative Köpfe und ein Mastermind, der mit deutlich besserer Laune und greifbarer Sicherheit an die Sache ging, machen sich bemerkbar. „Rationale“ schüttelt eine Fülle kleiner Songperlen aus dem Ärmel, die einfach viel zu schnell vorübergehen, die man mit wachsender Begeisterung summt, die auf einen baldigen Europa-Besuch hoffen lassen.
Wertung: 4/5
Erhältlich ab: 23.02.2024
Erhältlich über: ANTI- Records (Indigo)
Website: glitterer.com
Facebook: www.facebook.com/glitterererer