Chelsea Wolfe – She Reaches Out To She Reaches Out To She

Chelsea Wolfe
(c) Ebru Yildiz

Chelsea Wolfes geschmackvolle musikalische Unvorhersehbarkeit geht in die nächste Runde. Nach einem kurzen Blutmond-Exkurs mit Converge, Dauer-Mitstreiter Ben Chisholm sowie Stephen Brodsky von Cave In ging es an das erste Album seit über vier Jahren, für das neben Chisholm abermals Jess Gowrie und Bryan Tulao von Frühjahr 2020 bis Ende 2021 aus der Distanz mitschrieben, nur um das Material von Dave Sitek (TV On The Radio) im Studio zerlegen zu lassen. „She Reaches Out To She Reaches Out To She“ verbindet Intimität mit lautstarken Experimenten und beschreibt die direkte Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit, um die eigene Zukunft positiv zu verändern.

Das eröffnende „Whispers In The Echo Chamber“ bringt diese alte, neue Magie wunderbar auf den Punkt. Während die Vocals durch ihre zaghafte Zögerlichkeit durchaus ASMR-Qualitäten aufweisen, brodelt es dahinter. Scharfkantige Gitarren und Industrial-Einschlag treiben im Chorus die finstere Intensität auf den beklemmenden Höhepunkt. „Eyes Like Nightshade“ verbindet den ätherischen Gesang mit wilden Breakbeat-Elementen, scheint über das Selbst zu stolpern und findet doch immer wieder zur Magie. Die stets greifbare Nervosität passt wunderbar zur offenkundigen Getriebenheit, selbst wenn Wolfe Zurückhaltung vorlebt.

Dies gipfelt in „Dusk“, ein sinnlich anmutender Track über den Untergang eines Imperiums vor der Pforte eines neuen Morgens. Wenn in der zweiten Hälfte die Gitarre die Führung übernimmt und mit drückendem Psych-Einschlag überrumpelt, ist alles eitel. Wieder ein paar Türen weiter taumelt „House Of Self-Undoing“ durch hektische Schleifen, wie noisiger Industrial-Gothic-Pop, bizarr und hibbelig zugleich. Wolfe singt von ihrer Erfahrung, dem Alkohol abzuschwören, von den höchsten Höhen und tiefsten Tiefs. Stark ist auch „Tunnel Lights“, das sich schwerfällig aus dem Dickicht erhebt, von unsichtbaren Gewichten belastet, immer wieder zurück zu einem bewegenden Piano-Motiv findend.

Selbst für Chelsea Wolfe-Verhältnisse ist dieser neue Longplayer eine große Herausforderung geworden, und das ist ausschließlich positiv zu verstehen. „She Reaches Out To She Reaches Out To She“ wagt sich tatsächlich noch weiter hinaus und schlägt Brücken, wo auf den ersten Blick keine sein dürften, während die Vocals fast schon schüchtern in sich ruhen. Die Magie des Widerspruchs führt zu großartigem Songwriting, zu erhabenen Momenten zwischen heftigen Nackenschlägen, zarter Intimität und Ausloten der Grenzen. Nicht zu vergessen: starke Texte über Empowerment, über Selbsterkenntnis, über den Weg nach vorne. Abermals versprüht Chelsea Wolfe pure Magie, abermals im besten Sinne ganz anders und doch so magisch vertraut.

Wertung: 4/5

Erhältlich ab: 09.02.2024
Erhältlich über: Loma Vista Recordings (Universal Music)

Website: chelseawolfe.com
Facebook: www.facebook.com/cchelseawwolfe