Tausend Augen – Schock

Tausend Augen
(c) Mark Wernet

Im weiten, schwer greif- und kategorisierbaren Kraut-, Psych-, Space- und Electro-Universum nehmen Tausend Augen ihren Quadranten in Beschlag. Das gelang vor gut zwei Jahren bereits prima, als „Westend“ die Ellenbogen ausfuhr und sich souverän behauptete. Nun widmen sie sich dem Ende der Realität und den Abbruchkanten, die sich dahinter verbergen. Mehr Konsequenz, Elektronik und Reduktion, von einem Comic begleitet, werden kühn für den Zweitling angekündigt. Und siehe da: „Schock“ tut genau das, und zwar von hohem Unterhaltungswert begleitet.

Das wunderbar wirre und zugleich hochgradig faszinierende „Black Box“ macht deutlich, welch Kräfte hier freigesetzt werden. Vom maschinellen und zugleich punkigen Rhythmus über die erst einmal beiläufig, später launisch angeschlagene Gitarren, später von nölenden wie brennenden Vocals umgarnt – bizarr und doch so spannend. Tausend Augen lassen Schleife um Schleife los, umgarnen und becircen, setzen auf maximale Faszination. Treibende Tanzbarkeit schwingt nebenher mit und setzt dem Geschehen die Krone auf. Fünf nervöse Minuten verlaufen sich urplötzlich im Sand – was ist hier eben passiert?

Während noch letzte Fragen umherkreisen, tänzelt „Gold“ durch wirre Psych-Szenerien und sucht nach der großen Eingebung. Bei aller Intensität weht doch eine gewisse Fragiliät durch feuchte Keller. Im ellenlangen „Der alte Mann“ erhalten die Synthesizer eine zentrale Rolle, befeuern das Geschehen auf zurückgenommene Weise und schwimmen auf einer butterweichen Welle des eskalierenden Wahnsinns, der sich jedoch zu keiner Zeit aus der Reserve locken lässt. „Systemfehler“ besteht den Vibe-Check gekonnt und liebäugelt mit Noise Rock. Hinter dem verzerrten Dreck mit Punk-Motor verbergen sich Klangforschungen zwischen Loops und Bleeps, die vollste Konzentration verlangen.

Tatsächlich handelt es sich bei „Schock“ über weite Strecken um eine herrlich bizarre Platte, die ihre volle Strahlkraft erst nach mehreren Anläufen entfaltet und dabei doch ein kleines Mysterium bleibt. Selbst für Kraut-Verhältnisse gehen Tausend Augen sehr leger mit vermeintlichen musikalischen Grenzen um und bemühen die freie Form der musikalischen Experimentierfreude mit wachsender Begeisterung. Mal elektronisch, dann noisig, zudem viel Punk und endlose Loops mit psychedelischer Note: Es lohnt sich, hier das eine oder andere Ohr zu riskieren.

Wertung: 4/5

Erhältlich ab: 06.10.2023
Erhältlich über: This Charming Man Records (Cargo Records)

Website: tausendaugen.org
Facebook: www.facebook.com/tausendaugenband