JOHN – A Life Diagrammatic
Über so etwas wie die vermeintliche Einengung des Duo-Line-ups verschwenden John Newton und Johnny Healey keinerlei Gedanken. Als Duo JOHN klingen sie groß und mächtig, schmeißen zugleich jedoch alles über Bord, was musikalisch und kreativ keinen Sinn macht. Vor zwei Jahren entdecken sie auf „Nocturnal Manoeuvres“ die Möglichkeit für sich, noisige Schroffheit mehr und mehr gegen Soundscapes und Atmosphäre einzutauschen. Beide Welten existieren nun betont unharmonisch nebeneinander, irgendwo zwischen Post Punk, Post-Hardcore und grantig-industriellen Dystopien. „A Life Diagrammatic“ kniet sich noch tiefer in den wüsten Morast.
Selbst so etwas wie einen Indie-Mini-Hit haben sie geschrieben, wenngleich das angenehm zufällig anmutet. „Service Stationed“ packt ein treibendes, schroffes und zugleich eingängiges Riff aus, das wunderbar mit den nervösen Drums und den grummelnden Chants Newtons harmoniert. Die Fäuste schwingen wild und doch kontrolliert durch die Lüfte, der abweisende Charme geht ins Ohr. Einmal mehr lassen Idles grüßen, ohne sich dabei auch nur annähernd vom eigenen Sound zu entfernen. Den serviert „Riddley Scott Walker“ mit einem unangekündigten Gastauftritt von Post-Punk- und Alternative-Legende Barry Adamson. Erneut schlägt der Gummitwist zu, die Finger drücken die Luftröhre ab.
Adamson ist übrigens nicht der einzige Überraschungsgast. Schauspieler Simon Pegg („Shaun of the Dead“) spricht einen entfremdeten Monolog in „Media Res“, für dessen Präsentation sich JOHN von der Theatertheorie Bertolt Brechts inspirieren ließen. Davor wartet mit „At Peacehaven“ der nächste Gigant, unfassbar groß und massiv. Nicht nur die Vocals docken schon mal an die viel zu früh verabschiedeten October File an, etwas Post-Punk-Gesang trifft auf Industrial-Stilistik und erstickt im Noise. Die atmosphärische zweite Hälfte überrascht im besten Sinne. Das überlange „Trauma Mosaic“ setzt auf Reduktion und braucht verdammt lange, um eine der stärksten Melodien des ganzen Albums auszuspucken.
„The Common Cold“ beschließt diese 36 Minuten ruppig und unterkühlt, leicht verstört und zugleich verstörend. Inmitten zunehmender Entfremdung stellt sich – nicht umsonst – die brennende Frage, was zur Hölle denn hier gerade passiert sei. JOHN treiben die Eskalation noch weiter voran, klingen zugleich eingängiger denn je (zumindest was das bisherige Schaffen betrifft). Mehr Gitarren, mehr Atmosphäre und eine Spur weniger Noise legen den Grundstein für ein spannendes Happening, das sich wiederholt häutet und dabei unter die Haut geht. Das Duo könnte feiste Post-Punk-Hits schreiben, legt aber lieber den Finger in die Wunde und lotet seine musikalischen Möglichkeiten aus. Davon kommt man – im beste Sinne – kaum los, möchte das auch nicht.
Wertung: 4/5
Erhältlich ab: 22.09.2023
Erhältlich über: Brace Yourself Records / Pets Care Records (Rough Trade)
Website: www.johntheband.co.uk
Facebook: www.facebook.com/JOHNTIMESTWO