Deeper – Careful!
Ist das schon – oder noch – Pop? Nic Gohl hat eine besondere Sicht auf die Musik seiner Band. Der Frontmann von Deeper bezeichnet den Sound des Quartetts aus Chicago ‚grundsätzlich als Popmusik‘, wobei das freilich nur die halbe Wahrheit ist. Auf ihren beiden bisherigen Alben befasste man sich mit verschiedenen Post-Punk-Facetten, so schroff wie zugänglich, konkret wie abstrakt gehalten. Nun bei Sub Pop unterwegs, erhält ihre Musik endlich die verdiente Bühne. Und das kommt zur denkbar besten Zeit, denn „Careful!“ hat alle Zutaten, um mit Anlauf durch die imaginäre Decke zu gehen.
Gerne reizt man den Post-Punk-Begriff aus, indem man frischen Wind hinzuholt und nach neuen Ansätzen sucht. Wie wäre es beispielsweise mit etwas Coldwave? „Tele“ wirkt nervös und doch in sich ruhend, so schroff und zugleich einnehmend. Das konstante Blubbern, die frontale Synthie, die beiläufig angeschlagene Gitarre, die ominösen Vocals – hier stimmt alles. In „Airplane Air“ diktiert hingegen Reduktion das Geschehen, flirrend und unbequem, und doch so sympathisch. Die Nervosität, die im Spannungsfeld zwischen Gesang und Melodie entsteht, verwirrt. „Everynight“ trägt tatsächlich entfernte Pop-Komponenten in sich, ist aber auch eine Post-Punk-Weisheit, schillernd und fast schon funky.
Eingerahmt wird das Album von seinen beiden wohl besten Songs. „Build A Bridge“ eröffnet den Reigen. Auch hier brodelt es unter der Oberfläche, während Gohl nach der musikalischen Ultima Ratio sucht und den basslastigen dreieinhalb Minuten seinen Stempel aufdrückt. Fast noch besser gestaltet sich „Pressure“, zumal sich Deeper hier bewusst etwas Zeit lassen, abermals etwas Pop einbringen, dabei jedoch zusehen, wie der Track zunehmend eskaliert und abdreht. Immer lauter, immer intensiver, immer fordernder, während sich die Gitarre wundschrubbt – es kann so einfach sein. „Sub“ will ebenso gesondert hervorgehoben werden, weil hier klassischer Post Punk unheimlich stark mit dem Starrsinn des Quartetts harmoniert.
So schräg und doch so verdammt gut – dem Papier nach sollte das nicht funktionieren. Erneut eine Post-Punk-Platte, erneut ums Eck gedacht, erneut experimentell und doch eingängig angelegt, so gestalten Deeper ihr mittlerweile drittes Werk. shame treffen Squid, wenn man eine zumindest recht ungefähre Umschreibung für das Geschehen möchte, und doch wird das der Band aus Chicago nicht annähernd gerecht. „Careful!“ ist eine kleine Wundertüte geworden, voller Überflieger und Rohdiamanten, Perlen und Überraschungen. An diesem bizarren wie mitreißenden Werk darf es kein Vorbeikommen geben.
Wertung: 4,5/5
Erhältlich ab: 08.09.2023
Erhältlich über: Sub Pop Records (Cargo Records)
Website: www.deeperchi.com
Facebook: www.facebook.com/deeperchi