Slowdive – everything is alive
Die Mühlen mögen langsam mahlen, doch schwimmen Slowdive seit ihrem Comeback obenauf. Ihr erstes Album nach der Reunion wurde von Fans und Kritikern gleichermaßen gefeiert, ihre Konzerte zum berauschend gemächlichen Fest, und so ging es dieses Jahr sogar erstmals auf die Glastonbury-Bühne. Im Lauf der letzten drei Jahre entstand zudem eine neue Platte unter schwierigen Voraussetzungen, wie räumlicher Distanz sowie Todesfällen in der Familie. Was ursprünglich als minimalistisches elektronisches Album angedacht war, erhielt letztlich doch den typischen Slowdive-Anstrich. „everything is alive“ klingt im besten Sinne anders und doch vertraut.
Vermutlich kommt „andalucia plays“ den ursprünglichen Plänen am nächsten. Der von Neil Halstead gesungene Track klingt in seinen Fundamenten wie ein Ibiza-Comedown-Track, der mit reduziertem Cure-Wave kombiniert wurde, dabei stets von Gaze und verträumtem Pop angetrieben wird. In dieser Leichtigkeit des Seins, die freilich mit emotionaler Schwere kollidiert, entsteht eine ellenlange meditative Schönheit, die im zarten „prayer remembered“ eine herrliche Fortsetzung findet. Auch hier tut sich letztlich wenig, die Gitarre scheint oft alleine auf weiter Flur zu stehen, während rundherum kompakte Soundscapes in Zeitlupe ablaufen.
Klassische Slowdive-Klänge gibt es natürlich weiterhin, beispielsweise im abschließenden „the slab“. Ja, die Drums haben stellenweise Loop-Charakter, doch der unweigerliche Drive nach vorne, der mit zunehmender Distortion und ätherischen Vocals kollidiert, weckt gewisse Erinnerungen. Für „skin in the game“ wurden sinnliche Sensibilitäten aufgegriffen, während der Opener „shanty“ vielleicht der lauteste Track der gesamten Platte ist. Ordentlich Gitarren und Hall suchen nach einem Sinn, der verschlossen bleibt, zugleich nicht mehr aus dem Ohr geht. Dass ausgerechnet die erste Single „kisses“ wie ein romantischer Post-Pop-Song rüberkommt und damit nahezu aus dem Rahmen fällt, passt ins Bild.
Trotz vermeintlichem Weichzeichnereinsatz und bemühter Reduktion plätschert das Album zu keiner Zeit vor sich hin, was für Slowdive spricht. „everything is alive“ wandelt auf bekannten Pfaden und blickt dabei auf neue Schuhe. Der elektronische Ansatz will keinesfalls überbewertet werden, kommt häufig nur sehr schwach durch, trägt jedoch ungemein zur eigenwilligen Qualität dieser Platte bei. Was beim ersten Durchlauf vielleicht etwas gar brav durchs Gebüsch schleicht, gewinnt mehr und mehr an Magie. Besonders dichte Texturen, feine Details, gelegentliche Post-Rock-Aufbauten und viel verträumte Gaze-Liebe machen auch das zweite Comeback-Werk von Slowdive zum Volltreffer. Abermals lohnt sich jegliche Geduld für diese herz- und bauchgesteuerte Magie.
Wertung: 4/5
Erhältlich ab: 01.09.2023
Erhältlich über: Dead Oceans (Cargo Records)
Website: www.slowdiveofficial.com
Facebook: www.facebook.com/Slowdive