Cherise – Calling

Cherise
(c) Paul Green

Eine der interessantesten jungen Stimmen Großbritanniens wird auf Albumlänge vorstellig. Cherise ist eigentlich klassisch ausgebildete Jazzmusikerin, widmet sich aber vorwiegend ihrer ureigenen RnB-Vision. Sie tourte bereits mit Michael Kiwanuka und Jamie Cullum, coverte Norah Jones für einen Blue Note-Sampler, und arbeitete mit Steam Down sowie Gregory Porter zusammen. Selbst in der Modewelt ist die exzellente Storytellerin mittlerweile angekommen. Ihr Erstling, „Calling“, schlägt selbstbewusst ihren Weg ein, der gerne mal über den musikalischen Tellerrand blickt und dabei sofort ins Ohr geht.

„Elixir“ bringt diesen Ansatz auf den Punkt, punktet mit Deepness und butterweichem Gesang, aber eben auch mit leicht jazzigen Obertönen, die im Hauptteil durchschimmern. Dieser mit voller Überzeugungskraft vorgetragene Track, der im Schlussteil in eine Art Improvisation abdriftet, das Geschehen leicht ad absurdum führt und doch nicht mehr aus dem Ohr geht, macht mächtig Laune. Cherise zieht ihr eigenes Ding durch, das zeigt auch „Summer Love“. Der reduzierte und doch eingängige Song hätte durchaus das Zeug zum Sommerhit, doch will die Protagonistin lieber mit dem zunächst losen Beat-Konzept experimentieren, verschiedene Synthie- und Stimm-Texturen ausprobieren. Das klappt tatsächlich wunderbar.

Im Titelsong „Calling“ wirkt sie getrieben und zugleich tiefenentspannt. Cherise widmet das gesamte Album der jamaikanischen Matriarchin ihrer Familie, und entsprechende Sounds kommen hier durch, wie auch etwas Soul und sogar Gospel im Abgang. Hingegen ist „2 Steppin'“ ein zurückgelehnter Hit, der sich langsam anschleicht, dem man sich nicht entziehen kann. Diese knapp drei Minuten hätten vor gut 20 Jahren bereits wunderbar funktionieren, wirken retro, ohne retro zu sein, bereiten Freude. Im abschließenden „Different Kinda Love“ reichern erfrischende, leicht poppige Jazz-Vibes einen ohnehin bereits sympathischen Song an. Hier knistert und blüht es an jeder Ecke und Ende, man kann sich der Magie kaum entziehen.

Der musikalische Ansatz von Cherise ist alles andere als generisch, arbeitet mit bestens bekannten Klängen und Mitteln, denkt diese nahezu komplett um. 08/15-RnB sucht man hier vergebens, denn neben den omnipräsenten, jedoch nie aufdringlichen Jazz-Elementen denkt „Calling“ das Genre weiter. Gelegentlich möchte man von Retro-Chic sprechen, doch wird das dieser aufregenden Platte nicht annähernd gerecht. Ansätze aus der RnB-Hochphase schwingen ebenso mit wie beseelte Standards, wie anspruchsvolle Beats, wie poppige Melodien. Über allem thront jedoch eine starke Songwriterin, die mit klarer Vision vorangeht und ohnehin bereits gut- bis hochklassige Songs veredelt. Dieses musikalische Happening möchte man nicht missen.

Wertung: 4/5

Erhältlich ab: 07.06.2023
Erhältlich über: Cherise Adams-Burnett (Kartel Music Group / Bertus)

Cherise @ Home | @ Facebook
„Calling“ @ Amazon kaufen