The Vices – Unknown Affairs
Indie-Charme aus Groningen schwappt über die Grenze. Bereits vor zwei Jahren machten The Vices mit „Looking For Faces“ erstmals auf sich aufmerksam und erspielten sich schnell den Status als Geheimtipp für ihren abwechslungsreichen, rockigen, gerne auch mal poppig-tanzbaren Sound. Davon setzt es jetzt mehr, denn mit dem Zweitling wollen sie deutlich mehr wagen und versuchen, ihrer Stimme musikalischen Ausdruck verleihen. „Unknown Affairs“ fragt sich, warum die Welt von (un)geschriebenenen Regeln und den Meinungen anderer dominiert wird, und wo da Platz für das Selbst bleibt.
Die Aufbruchstimmung des eröffnenden „Strange Again“ bringt den wilden und doch gefühlvollen Charme der Niederländer prima auf den Punkt. Voller Elan stürzt sich das Quartett in den Dreiminüter, scharfkantig und doch eingängig rockend, wobei der recht dominante, kraftvolle Basslauf positiv herausragt. Im direkten Anschluss zeigt „Never Had To Know“ die Bandbreite der Vices, gibt sich eine Spur luftiger und melodischer, wobei eine gewisse gespenstische Grundstimmung über dem Track liegt. Der leicht mystische Post-Britpop-Verve bekommt dem kurzweiligen, radiofreundlichen Song sehr gut.
Am anderen Ende des Albums kostet „For My Mind“ die Grenzen des eigenen Schaffens aus. „For My Mind“ beginnt recht konventionell, biegt vor dem großen Indie-Refrain aber in psychedelisch angehauchte Gefilde ab. Daraus entwickelt sich eine sechsminütige Tour de Force mit konstanter emotionaler Ebbe und Flut, zwischen wildem Rock’n’Roll-Gitarrensolo und zarter Sinnsuche. Dass danach eine lupenreine Piano-Ballade („Tomorrow I’ll Be“) und ein kurzes Surf-Rock-Instrumental („The Spell That Made A Dolphin“) folgen, passt ins Bild. Mehrere kleine, kurzweilige Hits, wie das an frühe Arctic Monkeys mit Synth-Einschlag erinnernde „Lay Down, Stay Down“ und das vergnügte „I Had A Name“, passen prima ins Bild.
Im Laufe der 40 Minuten wagen The Vices immer mehr und lassen sich keinesfalls auf einen Sound festlegen. Klar, auch „Unknown Affairs“ geht von einem gemeinsamen Indie-Nenner aus, drängt aber zugleich in sämtliche Himmelsrichtungen. Surf und Psychedelic bleiben kurze Ausflüge, Pop/Rock-Einschübe mit synthethischem Unterbau, schweißtreibende Garagenrocker und balladeske Ausreißer werden dafür natürlich in den Sound eingebunden. Das Zeug für den sprichwörtlichen großen Wurf ist da – es macht Spaß, The Vices beim Wachsen und Ausprobieren zuzuhören. Hier steckt ganz viel Qualität drinnen.
Wertung: 4/5
Erhältlich ab: 17.03.2023
Erhältlich über: Mattan Records
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