Karies – Tagträume an der Schaummaschine I
Nach fast viereinhalb Jahren kehren Karies unter etwas anderen Vorzeichen zurück. Die Welt hat sich verändert, und das gilt auch für ihren Sound. Auf ihren bisherigen Platten regierter kühler, frontaler, betont schroffer und gerne mal industriell angehauchter Post Punk. Davon verabschiedet man sich nicht komplett, beleuchtet nun aber eine andere, etwas experimentellere und verträumtere Seite des Genres. „Tagträume an der Schaummaschine I“ ist der Auftakt zu einem Veröffentlichungszyklus, über dessen Umfang noch herzlich wenig bekannt ist. Der erste Teil weiß zu unterhalten … und zu faszinieren.
Speziell der Opener dürfte für Verblüffen sorgen: „Coming Of Age“ geht mit seiner verspielten Synthie und einer Art Fröhlichkeit, die man von dieser Band bislang nicht kannte, in Richtung Drangsal und Bloodhype. Die recht lakonisch vorgetragene Strophe erinnert noch am ehesten an die früheren Werke, dann geht im Refrain die bestens gelaunte Sonne auf, von einer omnipräsenten Schwere begleitet. Besagte Schwere taucht im Laufe des Albums immer wieder auf: „Im Morgenlicht“, das als erster Vorbote mit seiner zurückgenommenen, technoiden Präsentation überraschte, kämpft stetig mit dem Selbst und der Umgebung.
Von ihren Wurzeln wenden sich Karies keinesfalls komplett ab, deuten diese nur um. „Nicht wir werden“ vermeidet die wütende Abfahrt, lässt aber vertraute Gitarren Einzug halten und diesem Fragment eine gewisse Eigenwilligkeit verleihen. Auch der zwischenzeitliche Wortschwall von „Willy“ nebst schrubbendem Bass kommt gut und vertraut. Hingegen stürzt sich „Don’t You Want To See You“ zunächst kopfüber in Wave-Welten, bevor sich der Song auflöst. In „Secondigliano“ kommen schließlich Alt und Neu zusammen. Der wütende Bounce ist wieder da, eine gewisse Bedrohlichkeit dringt zur Oberfläche vor, wird jedoch mit butterweichem Gesang und Synthies konfrontiert – ein weiteres Highlight.
Mit nur zehn Songs in 30 Minuten zeigt alleine schon die Spielzeit, dass sich hier einiges getan hat. Die frontale, dystopische Wut von Karies rückt erst einmal ins zweite Glied und macht Platz für den eleganten, gerne mal etwas holprigen Weichzeichner. Alleine schon für „Coming Of Age“ und „Secondigliano“ hat sich diese kleine Neuausrichtung gelohnt, rundherum spielt die Band mit den neuen Möglichkeiten. „Tagträume an der Schaummaschine I“ geht als hochgradig spannender Auftakt für Karies v2.0 durch. Bewegt sich der nächste (und hoffentlich nicht letzte) Teil auf einem ähnlichen Niveau, darf mit Fug und Recht von einem vollen Erfolg gesprochen werden. Der erste Abschnitt unterhält.
Wertung: 4/5
Erhältlich ab: 10.03.2023
Erhältlich über: This Charming Man Records (Cargo Records)
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