Jolle – Wirtschaft Arbeit Technik
Irgendwo zwischen Genie, Wahnsinn und herrlich eigentümlichem Humor bäumt sich das Duo Jolle aus Potsdam auf. Martin Mann und Enrico Semler sind im weiten Noise-Mikrokosmos zuhause, erweitern diesen jedoch nach Belieben um verschiedenste Klangwelten. Intellektuelle Texte über die Rolle des Arbeiters in einer post-industrialisierten Welt treffen auf eine besondere Art von Witz, die sich nahezu unbemerkt anschleicht und angenehm überwältigt. Exakt das und noch so viel mehr spielt sich auf dem ersten Album „Wirtschaft Arbeit Technik“ ab.
Besagte Eigentümlichkeit kommt in „Wirtschaft Arbeit Tod“ zusammen. Nach einem kurzen Spoken-Word-Intro findet sich die erste Single in quengeligen und doch spannungsgeladenen Gefilden wieder, lässt das Geschehen nervös wabern und reitet auf einem Pulverfass der schrägen Vocals. Wohin die Reise geht, bleibt lange offen, doch macht gerade das Laune. Im Vergleich dazu gibt sich das folgende „Hier leben“ geradlinig, wagt sich in Garage-Rock-Sphären vor und haut ein wenig auf die Kacke. Schalk und Noise sitzen allerdings hörbar im Nacken und warten nur darauf, mit wachsender Begeisterung auszubrechen.
Legeres Wabern beherrschen Jolle ebenfalls wunderbar. „Love Long Dead“ bringt Kraut und Psychedelic aufs Tableau, wird zunehmend nervöser und steuert auf einen Höhepunkt zu, der letztlich ausbleibt. Auch das hat Methode, wie auch der mit der Tür ins Haus fallende Titelsong. Als Opener dieser Platte wirkt „Wirtschaft Arbeit Technik“ fast schon freundlich und einladend. Die zunehmende Entfremdung mit Noise- und Kraut-Schleifen scheint unvermeidbar und führt in die nervöse, kauzige „Digital Bullshit World“. Punkige Einflüsse und dicke Gitarren zerren mit wachsender Begeisterung am Status Quo.
Was hier genau passiert, ist nicht immer klar, macht aber auch nix. Jolle basteln sich ihre eigene kleine Welt und lassen daran teilhaben. Und diese Welt ist überaus spannend. Mit jedem Durchlauf tun sich neue Details auf, bislang unentdeckte Wendungen, aber auch der eigentümliche Humor in den Intros und Zwischenspielen. „Wirtschaft Arbeit Technik“ ist ein wohliges Kuriosum geworden, die Suche nach dem Mindbending-Meister im weiten Noise-Dickicht. So unterhaltsam kann das Leid des neuen Arbeiters in seiner Suche nach dem Sein im post-industriellen Schein sein.
Wertung: 4/5
Erhältlich ab: 10.03.2023
Erhältlich über: Crazysane Records (Broken Silence)
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