VV – Neon Noir
Eine der interessantesten Rockstimmen der letzten Jahrzehnte meldet sich endlich wieder zurück. Als Sänger von HIM feierte Ville Valo große kommerzielle Erfolge, allen voran die Überhits „Join Me In Death“ und „The Funeral Of Hearts“, bevor sich die Band Ende 2017 verabschiedete. Nach einer Platte mit Agents sowie einer ersten Solo-EP feiert sich Valo unter dem Pseudonym VV endlich ein Comeback auf Albumlänge. „Neon Noir“ knüpft an den Sound seiner früheren Formation an und scheut ebenso wenig vor freundlichen, melodischen, nahezu poppigen Einschüben zurück.
Bereits die Vorboten deuteten an, dass Valo in vertrauten Gewässern fischen würde. Das eröffnende „Echolocate Your Love“ lebt von dichten Texturen und dezenter Schwerfälligkeit, die auf ebenso legere Synthetik trifft. Aus diesem Widerspruch entsteht ein mächtiger, hymnischer Refrain, der vor der zweiten Wiederholung sogar kurz eingeschrien wird. Die dezent elektronischen Untertöne kommen gut, ohne zu verwässern – siehe und höre auch „Loveletting“, das durchaus poppigen Charme mit Kajal-Chic vermischt und direkt ins Ohr geht. Klar, das hat man in dieser Form schon ein paar Mal gehört, macht aber trotzdem Laune.
Was an dieser Platte unterhält, ist die Vielfalt bei gleichzeitiger Geschlossenheit. Das äußert sich vor allem in den längeren Exkursen: „Saturnine Saturnalia“ bemüht balladeske Strukturen und baut diese sukzessive aus. Bevor es zu seicht wird, schwingen sich die Gitarren in Richtung Gothic-Grandezza auf. Dort wartet bereits der Rausschmeißer „Vertigo Eyes“, dessen entstellte, laute zweite Hälfte Arschtritte am laufenden Band verteilt. Hingegen erinnert „Salute The Sanguine“ an HIM zu ihren besten Zeiten – druckvoll, verschwitzt und doch stets vornehm, melodisch und ominös zugleich. Die bittersüßen Melodieteppiche in „Baby Lacrimarium“ umgehen den Zuckerschock komplett und freunden sich mit dem Radio an.
Ville Valo schwimmt sich vom HIM-Erbe frei, ohne sich komplett davon zu distanzieren. Alleine schon die Charakterstimme würde das nahezu unmöglich machen. Als VV widmet sich der Finne nach wie vor düsteren Rocktönen, die nun jedoch noch eine Spur eingängiger und poppiger, zuweilen sogar dezent synthetisch ausfallen. „Neon Noir“ stellt mit seiner Spielzeit von über 56 Minuten vor eine mächtige Herausforderung, bleibt aber ebenso direkt hängen. Im Widerspruch findet sich Spannendes für alte und neue Fans, begleitet von dicken Melodien und Stimmbänder, die gefühlt in einen Jungbrunnen gefallen sind. Es mag der eine oder andere Hit fehlen, und doch bleibt Vallo selbst als Mittvierziger unerreicht.
Wertung: 4/5
Erhältlich ab: 13.01.2023
Erhältlich über: Spinefarm Records (Universal Music)
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