Jamie Lenman – The Atheist

Jamie Lenman
(c) Jen Hingley

Ob mit Reuben oder solo, Jamie Lenman kennt man eher als Mann fürs Grobe, der zwar im Rock zuhause ist, der aber auch vor rasender Post-Hardcore-Explosivität keinesfalls zurückschreckt. Dabei schrieb er eigentlich immer schon, seit über zwei Jahrzehnten, deutlich ruhigere und melodischere Songs, die jedoch nie auf ein Album passten. Bis jetzt, denn nun bündelt der Brite seine hymnischen bis intimen Tracks über Religion, Beziehungen und Sozialwissenschaften auf einer Platte. „The Atheist“ schlägt ein neues Kapitel auf und zeigt den Veteranen so zugänglich, so eingängig wie nie zuvor.

Der Auftakt führt erst einmal auf die falsche Fährte. „This Is All There Is“ bringt doch noch ein wenig Heavyness rein, breitet seine wuchtigen Alternative-Schwingen aus und nähert sich dem Wahnsinn zumindest an. Dennoch bleibt es melodisch, und dieser Eindruck verfestigt sich in weiterer Folge. „Talk Hard“ ist ein Ohrwurm, wie man ihn von Lenman eigentlich kaum kennt. Im Nu breitet sich der kleine, große Refrain aus und beißt sich mit einfacher Genialität fest. „Lena Don’t Leave Me“ setzt noch einen drauf. Die Kopfstimme im Refrain spielt mit The Darkness-Chic, rundherum entwickelt sich eine kurzweilige, bewegende Mini-Hymne.

Überraschungen setzt es hier also in rauen Mengen, wobei „War Of Doubt“ mit dem gesprochenen Auftakt selbst in diesem Kontext etwas wagt. Aus der anfänglichen Beklemmung entspringt eine wunderschöne Blume, der Song wird immer selbstbewusster und könnte mit ein paar Tweaks sogar in Richtung Prog Rock abbiegen, brilliert jedoch viel lieber als großer Dramaturg. „Song On My Tongue“ nimmt mehr Fröhlichkeit mit. Nicht zum letzten Mal stattet Lenman Indie-artigen Gefilden einen kleinen Besuch ab, was ihm allerdings wunderbar bekommt. Sogar eine Prise (frühe) Panic! At The Disco mischt mit. Das bezaubernde „Hospital Tree“, das geschickt zwischen Leichtfüßigkeit und Alternative-Intensität pendelt, will ebenfalls nicht unerwähnt bleiben.

Selbstverständlich braucht das etwas Eingewöhnungszeit, das hatte man sich von Jamie Lenman vielleicht nicht so ganz erwartet. Macht aber nichts, denn letztlich spricht das Ergebnis für sich. Der deutlich eingängigere, hymnische und intime Sound von „The Atheist“ macht absolut Laune und bleibt im Ohr. Dicke Melodien mit cleveren Twists vermeiden die Klippen der Peinlichkeit gekonnt und beschreiten neues Terrain mit Selbstbewusstsein und überdimensionalem Charme. Derlei Klänge dürfen sich künftig gerne unter die schrofferen Lenman-Titel mischen – eine attraktive neue Facette wurde hier gekonnt freigelegt und inszeniert.

Wertung: 4/5

Erhältlich ab: 25.11.2022
Erhältlich über: Big Scary Monsters (Membran)

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