Petrol Girls – Baby
Ren Aldridge möchte sich freischwimmen von den teils selbst auferlegten Zwängen einer politischen Punk-Szene, die zu Moralisierung und Scheinheiligkeit tendieren kann. Kurzum: Die Stimme von Petrol Girls wollte ein gewisses Augenzwinkern in die nach wie vor drastischen Lyrics zurückholen. Ihre kürzlich von London ins steirische Graz gezogene Band nahm dies zum Anlass, den Sound deutlich nuancierter auszulegen. „Baby“, das mittlerweile dritte Album, soll deutlich respektloser ausfallen, weiterhin klare Stellung zu heißen Eisen beziehen und dabei nicht bierernst bleiben.
Besagtes Augenzwinkern ist selbstverständlich relativ zu sehen: „Baby, I Had An Abortion“ verpackt eine ernsthafte Thematik in dezent kindische Zeilen, was tatsächlich prima funktioniert. Wie Aldridge pointierte Weisheiten zu reduziertem Post Punk mit No-Wave-Einschlag ausspuckt, macht Laune. Death From Above 1979 lassen grüßen. Das harsche „Fight For Our Lives“ dreht die Klangschraube weiter und kreuzt Punk mit Industrial-artigen Anleihen. Gemeinsam mit der ehemaligen Dream Nails-Sängerin Janey Starling entstand eine Art Manifest für Selbstbestimmtheit, das sich nebenbei auf eine Kampagne von Starlings Organisation „Level Up“ bezieht, die britische Medien auffordert, Femizide nicht mehr als Beziehungsdramen darzustellen – ein hierzulande viel zu vertrautes Thema.
Die selbstverherrlichende Problematik der Call-Out-Culture benennt „Preachers“, ein störrisch instrumentiertes Stück Musik, dessen Hauptteil zwischen Hardcore und Punk wunderbar am Rad dreht. Im wunderbar ausladenden, luftigen „Bones“ kommen die Songwriting-Qualitäten des Quartetts so richtig durch, hymnischer Chorus, gekonnte Stilwechsel und plötzliche Eruptionen inklusive – eine Art Mini-Zusammenfassung dieser Platte. Das in jeder Hinsicht drastische „Violent By Design“ schraubt die furiose Energie weiter in die Höhe, während das nervöse, verwaschene und schließlich schäumende „Clowns“ einmal mehr das Post-Präfix zelebriert.
Auf „Baby“ findet zusammen, was zusammengehört. Petrol Girls büßen rein gar nichts an klarer Kante ein, legen den Finger weiterhin in offene Wunden und setzen sich in aller Deutlichkeit mit ihrer Umgebung auseinander. Der weiterhin stark feministisch geprägte Ansatz wirkt nun in jeglicher Hinsicht vielfältiger. Musikalisch erscheint die Bandbreite größer, textlich wählt Aldridge andere Muster und Blickwinkel als Ergänzung. Die Mischung macht’s und liefert frontale, clevere, aufwühlende Rohdiamanten, die zusammen ohne Frage das bislang beste Album des Quartetts und einen absoluten Anwärter für die Bestenlisten am Jahresende ergeben.
Wertung: 4,5/5
Erhältlich ab: 24.06.2022
Erhältlich über: Hassle Records (Cargo Records)
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