HÆCTOR – Modern Urban Angst

HÆCTOR
(c) Nick Neufeld

Der Alltag ist ein Meer der Unsicherheiten geworden, ein Sammelsurium der kleinen und großen Ängste, die sich wie ein ermattender roter Faden durch das existenzielle Sein und den damit verbundenen Schein ziehen. HÆCTOR zaubern daraus fantastischen Indie Pop. Was sich wie ein bizarrer Widerspruch liest, ergibt eigentlich Sinn, denn durch packende Melodien und den Funken Hoffnung fällt der Umgang mit der gefühlt permanenten Bedrückung gleich leichter. Die vier Hamburger*innen nennen ihr erstes Album gleich „Modern Urban Angst“ und liefern eine kleine Wundertüte, an der man sich nicht satt hören will.

Man könnte das Gros der Platte bereits kennen, schließlich veröffentlicht das Quartett seit geraumer Zeit wunderbare Auskopplungen und Vorboten mit wachsender Begeisterung. Da wäre zum Beispiel „Chelsea“, dieses treibende Stück Musik mit launiger Gitarre, mit gelegentlichem Wechsel ins Falsett, mit verschrobener Indie-Lässigkeit und lockerem Ohrwurm-Charakter selbst im Dickicht. Oder „Castles“, das vergleichsweise ruhig und entspannt anrollt, semi-balladeske bis radiofreundliche Züge in sich trägt und dabei kleine Widerhäkchen auswirft, die sich sofort festbeißen. Die Bellamy’sche Kopfstimme ist so und so nie verkehrt.

Der Rausschmeißer zählt ebenfalls zu den großen Highlights. „Your Darkness“ tastet sich recht vorsichtig heran, bemüht butterweiche Klänge und nachdenkliche Leichtigkeit. Gen Halbzeit bricht der Track ab und wird von technoiden Beats torpediert. Plötzlich drehen HÆCTOR auf Dance-Pop mit Gitarren-Unterbau, führen beide Welten zusammen und bleiben sofort im Ohr. Stark ist auch „Run Dry“, wenngleich ganz anders – ein Exkurs aus der Indie-Disco; wie Editors, bloß leichtfüßiger. Die nahezu komplette Reduktion von „My Strings“ täuscht hingegen, denn aus der anfänglichen Idylle schält sich eine Monstrosität. Neue Spuren kommen hinzu, der Track wird lauter und wilder, bevor das finale Crescendo mit den schreienden Saiten das Tanzbein durch ein Meer der emotionalen Verwirrung zerrt.

Und dann, irgendwann, und natürlich viel zu schnell, dann ist die Sache vorbei. 40 aufregende Indie-Pop-Minuten später wirkt der Alltag plötzlich etwas leichter. Wie sich HÆCTOR mit den kleinen und großen Dingen auseinandersetzen, motiviert und bringt Freude. Nicht nur das, sie schreiben einfach richtig gute Songs: „Modern Urban Angst“ schäumt vor Spielfreude und kleinen Perlen geradezu über, ist eine Sammlung sympathischer Songs mit verschmitztem Grinsen und dicken Umarmungen, mit Hoffnung und realistischer Ehrlichkeit. Die Hamburger*innen debütieren bärenstark mit einer Platte, die nicht nur den einsetzenden Sommer gewiss versüßen wird.

Wertung: 4/5

Erhältlich ab: 10.06.2022
Erhältlich über: Dachshund Records

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