Tim Kasher – Middling Age
Eigentlich hatte der äußerst umtriebige Tim Kasher sein viertes Soloalbum bereits kurz nach dem Release der aktuellsten Cursive-Platte komplettiert, doch veranlasste ihn die fehlende Aufsicht, damit auf Tour zu gehen, zum konzentrierten Feilen daran. So verpflichtete er diverse Mitstreiter – darunter Mitglieder seiner eigenen Band, Cloud Nothings-Schlagzeuger Jayson Gerycz und seine eigene Nichte – um remote weiterzuarbeiten. Auf „Middling Age“ besingt er mit Sterblichkeit und Verlust höchst aktuelle Themen, die allerdings längst vor dem Weltgeschehen der letzten beiden Jahre gewählt und verarbeitet worden waren.
Kashers neunjährige Nichte Natalie Tetro ist angehende Songwriterin. Das kurze Intro ist rund um ihren Song „Long Days“ aufgebaut, sie trägt ihn selbst vor – eine wunderbar charmante Episode. „I Don’t Think About You“ trägt im Anschluss ein klares Statement im Titel und ist letztlich doch mehr Zusammenstellung spannender Szenen zu reduzierten Klängen mit folkiger Note und Zweitstimme von Cursive-Kollegin Megan Siebe. Hingegen nimmt „What Are We Doing“ kurz Anlauf und verbindet Beobachtungen mit Indie-artigen Klängen und wirbelnden Drums, die schon mal an eine deutlich reduziertere Version der Hauptband erinnern können. Und doch steht das Storytelling im Mittelpunkt.
Cello, mystische Atmosphäre und beklemmende Singer/Songwriter-Soundscapes statten „Whisper Your Death Wish“ aus, eine herrlich bedrückende, im Abgang sogar jazzige Episode. Das vorwitzige, pointierte „100 Ways To Paint A Bowl Of Limes“ und das zittrige, zugleich ach so klare „You Don’t Gotta Beat Yourself Up About It“ rücken die lyrischen Bemühungen des Protagonisten in den Mittelpunkt. Und dann ist da noch „Forever Of The Living Dead“, der ellenlange Abgang, der immer größer wird. Laura Jane Grace singt eine Strophe, Jeff Rosenstock spielt das Saxofon, die letzten Zeilen gehören wieder Kashers Nichte Natalie – eine schräge, sympathische Tour de Force.
Zwischen stattlicher Gästeliste und sympathischer Heimeligkeit macht sich Tim Kashers viertes Soloalbum auf den Weg zu zurückgelehnter Großartigkeit. „Middling Age“ bietet so viele tolle Dinge, die entdeckt, erkundet und erlebt werden wollen, so viele Details, überraschende Einschübe und doch die herrliche Reduktion, die immer wieder den Fokus auf das sprichwörtliche Wesentliche legt. Wunderbare szenische Darstellungen, die sich in wiederholt hypnotischen bis hypnotisierenden Texten äußern, krönen die Angelegenheit. Im Prinzip macht Tim Kasher erwartungsgemäß weiter. Und genau das wühlt im besten Sinne auf.
Wertung: 4/5
Erhältlich ab: 15.04.2022
Erhältlich über: Thirty Something Records
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