Arionce – Calls From Afar Shores

Arionce
(c) Jim Kroft

Das stete, häufig widersprüchliche Verhältnis zwischen Spannung und Entspannung begleitet Arionce seit ihrer ersten EP. Das Berliner Quartett tummelt sich im weiten Alternative-Rock-Mikrokosmos, begleitet von Prog- und Indie-Einflüssen, zwischen Atmosphäre, Hymne und Nachdruck pendelnd. Ihr Debütalbum nahmen sie im eigenen kleinen, frisch ausgebauten Studio auf, wo sie alle Zeit der Welt hatten, mit Sounds und Stimmungen zu experimentieren. „Calls From Afar Shores“ befasst sich mit der Suche nach Kraft in Zeiten sozialer Isolation, nach dem Verlust eines geliebten Verwandten, im Umgang mit der Demenzerkrankung des eigenen Vaters.

Traumwandlerisch und doch so bestimmt tanken sich Arionce durch diese zehn Songs. „Your Spell“ vereint beide Extreme auf dem Weg zu einem zurückgenommenen und doch so kraftvollen Refrain. Luftig angeschlagene Gitarren spielen mit Neo-Prog-Ideen, das angedeutete Falsett duelliert sich mit Schrammelei, sogar ein paar Math-Elemente wirken mit. Im Gegensatz dazu wirkt „White Doors“ forsch und pointiert, lässt sich zugleich jeden erdenklichen Raum, um die eigenwillige Atmosphäre, diese forcierte Unwirklichkeit auf den Punkt zu bringen. Das Jubilieren von Gazpacho trifft auf die präzise Gratwanderung von Dredg und bleibt hängen, während der Schlussakt durch die Decke geht.

„Leucosia“ ist ein weiterer Leckerbissen, der sich nicht unbedingt in eine Schublade drücken mag, selbst für Arionce-Verhältnisse – ein Zeichen für die Vielschichtigkeit der Berliner. Hier sticht der fieberhafte Drive hervor, die pulsierende Rhythmusabteilung, von der Gitarre zart umgarnt. Im Refrain fallen alle Hüllen, dringlicher Rock mit Indie-Schlagseite stellt die Zeichen auf Hit. „Conversations“ hat es hingegen nicht eilig und verdeutlicht die Dredg-Vergleiche. Wenn der zunächst zurückhaltende Song in der zweiten Hälfte aus sich herausgeht, brechen alle Dämme. Ähnliches, wenngleich deutlich wuchtiger, geschieht in „No Borders“, wo sogar ein wenig Post zum Prog kommt.

Wie schnell können 40 Minuten eigentlich vergehen? Im Falle von „Calls From Afar Shores“ vergeht die Zeit im sprichwörtlichen Flug, und doch reichen fünf, sechs Durchläufe nicht annähernd, um die verspielten Details in ihrer Fülle zu erfassen und zu verarbeiten. Arionce finden eine ureigene Version von Gitarrenmusik, die sich jeglichen temporalen Konstrukten erfolgreich widersetzt und einfach treiben lässt. Dennoch ist hier alles wunderbar durchdacht, clever arrangiert und steht trotz aller Querverweise sicher auf eigenen Beinen. Nach zwei kurzweiligen EPs erfüllt dieses Album sämtliche Erwartungen und wächst gefühlt stetig weiter – eine wunderbare Entdeckung.

Wertung: 4/5

Erhältlich ab: 29.04.2022
Erhältlich über: recordJet (Edel)

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