Placebo – Never Let Me Go

Placebo
(c) Mads Perch

Achteinhalb Jahre. So viel Zeit ist seit dem Release von „Loud Like Love“ vergangen. Placebo waren aber keineswegs untätig, versuchten sich an einer Werkschau mit neuem Material, nahmen ein Unplugged-Werk auf und waren fünf Jahre lang nahezu ununterbrochen auf Tour. 2018 musste sich Brian Molko eingestehen, dass er mit der jüngeren Vergangenheit seiner zum Duo geschrumpften Band unzufrieden war, diese und eigentlich alles zu kommerziell fand. Also gingen Stefan Olsdal und er gemeinsam ins Studio, ausnahmsweise ohne Session-Drummer, und suchten nach neuen Wegen, um Sound und Arbeitsweise nicht langweilig klingen zu lassen. Artwork und Tracklist entstanden zuerst, dann wurden die Songs geschrieben. Das sowie der Fokus auf den Schmerz dieser Welt und der verstärkte Synthi-Einsatz bekommen „Never Let Me Go“ erstaunlich gut.

Jeder Track muss synthetische Klänge enthalten, so Molkos Vorgabe. Aus der Herausforderung entstanden fantastische, vielseitige Tracks. Wie sich der Opener „Forever Chemicals“ über die komplette Entfremdung in einen schleppenden Überflieger hangelt und alleine schon durch seine finstere Wärme unterhält, weiß zu begeistern. Aus dem Nichts löst sich ein fantastischer und doch zurückgenommener Refrain. Im Vergleich dazu wirkt „Beautiful James“ brav, poppig, fürs Radio gemacht. Dass es darin um nicht-heteronormative Beziehungen geht – geschenkt, Placebo haben auch über ein Vierteljahrhundert nach „Nancy Boy“ viel zu sagen, besteht doch nach wie vor mehr als genug Aufholbedarf.

Perlen gibt es auf dem mittlerweile achten Studioalbum in rauen Mengen. „This Is What You Wanted“ hat das Zeug zur Piano-Ballade und lässt wertige nervöse Energie in den Untiefen erkennen. Das zunächst schleppende, angenehm schroffe und verschachtelte „Surrounded By Spies“ bringt den neuen Bock auf Elektronik in unnachahmlicher Manier auf den Punkt und ist doch Placebo durch und durch. Hingegen atmet „Fix Yourself“ den synthetischen, bedrohlichen Geist von „Disintegration“ auf ganz eigene Weise, während das forsche „Hugz“ nicht nur ein wunderbares „Doctor Who“-Zitat beheimatet, sondern in seiner kompromisslosen Härte an die Anfangstage erinnert. Mit „Try Better Next Time“ setzt es zudem einen typischen Hit, der auf fast jeder bisherigen Platte funktioniert hätte.

Die komplette Distanzierung von ihrer ach so kommerziellen Vergangenheit, wenn man einem etwas miesepetrigen Molko Glauben schenken mag, bleibt zumindest stellenweise aus, und doch melden sich Placebo in bestechender Form zurück. Wo die letzten Werke die durchgängige Stärke vermissen ließen, ist „Never Let Me Go“ die Rückkehr zu den besten Tagen, das mächtigste Werk seit „Meds“ aus dem Jahr 2006 und ein finster schillerndes, vielschichtiges Album, das eine Rückkehr zu alten Qualitäten vor dem Ausstieg von Steve Hewitt signalisiert. Mit ihrer achten regulären Platte stürzen sich Molko und Olsdal in einen Jungbrunnen und erkunden frische Pfade auf vertraute Weise – ein mehr als nur überraschendes, begeisterndes Statement von einem Album.

Wertung: 4,5/5

Erhältlich ab: 25.03.2022
Erhältlich über: SO Recordings (Rough Trade)

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