Shoreline – Growth
Mehr als 200 Shows in ganz Europa mit so illustren Bands wie Hot Water Music, Basement und Spanish Love Songs, dazu eine starke EP und ein nicht minder unterhaltsames Album: Shoreline aus Münster ackern sich seit Jahren nach vorne. Ihr Punk-Sound, der gerne mal in Emo- und Hardcore-Gefilden fischt, ist so zeitlos wie brandaktuell, dazu kommt die Verbindung persönlicher und größerer gesellschaftlicher Themen in den pointierten Texten. Klingt nach den Zutaten für den ganz großen Wurf, und genau diesen hätte sich das Quartett mit „Growth“ mehr als verdient.
Auffallend ist die umfangreiche Gästeliste dieses Zweitlings. Frontmann Hansol Seung und Indie-Artist Koji setzen sich in „Konichiwa“ mit anti-asiatischem Rassismus auseinander, sezieren das Thema mit bedrückender Präzision und liefern im Vorbeigehen einen eingängigen wie giftigen Midtempo-Rocker. Brian McTernan von Be Well taucht im kurzen, heftigen „Sanctuary“ auf. Die furiose Hardcore-Punk-Häutung ist wohl die brachialste Episode dieser Platte. Wieder ein paar Türen weiter schaut Em Foster von Nervus vorbei. Das Ergebnis, „Meat Free Youth“, geht sofort ins Ohr und trifft textlich mitten ins Herz.
Es geht übrigens auch ohne Gäste: „Raccoon City“ ist ein kurzer, kompakter, stellenweise fast schon sperriger Track mit Hardcore-Untertönen, wütendem Breakdown und einer mächtigen Hook mitten im Chaos. „White Boys Club“ vermengt Galle mit Harmonie und landet gleich mehrere direkte Treffer. „Distant“, für das mit den wunderbaren Smile And Burn weitere Gäste gewonnen werden konnten, fällt gleichermaßen wiederborstig und eingängig aus, deutet vereinzelte Wave-Gitarren sowie ruppigen Punk mit einem Hauch von Core an. Eingerahmt wird die Platte hingegen von zwei Leisetretern. Während sich „I Grew Up On Easy Street“ nach und nach der Aufbruchsstimmung widmet, bleibt der Titelsong „Growth“ fragil und balladesk – eine unerwartete Facette, die Shoreline ebenfalls gut bekommt.
Nach keiner halben Stunde ist die Show schon wieder vorbei, viel zu schnell, und doch ist alles gesagt. „Growth“ löst sämtliche Versprechen ein, die mit den bisherigen Releases und Vorboten gegeben wurden, und geht endgültig durch die Decke. Tatsächlich fügen sich alle Puzzleteile dieses Mal zusammen. Stilistische Pluralität, fantastische Gäste, packendes Songwriting, wichtige Texte und das gewisse Etwas, das sich nicht so recht in angemessene Worte kleiden lässt, finden einander. Shoreline schütteln Hits und Wellenbrecher aus dem Ärmel. Das Ergebnis – das kann man schon zu diesem frühen Zeitpunkt gewissenhaft festhalten – ist eines jener Alben, die man 2022 gehört haben muss.
Wertung: 4,5/5
Erhältlich ab: 04.02.2022
Erhältlich über: End Hits Records (Cargo Records)
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