alt-J – The Dream
Fünf Jahre. Fünf lange Jahre sind seit „Relaxer“ vergangen, auf dem sich alt-J neu zu orientieren versuchten, ihre Dekonstruktion konsequent vorantrieben. Die Suche nach der perfekten Form des musikalischen Ausdrucks setzt sich fort, wenngleich es nach dem mittelprächtigen Vorgänger doch etwas aufzuholen gäbe. „The Dream“ holte sich Inspiration von wahren Geschichten aus Hollywood, aus dem persönlichen Umfeld, von Intrigen und Menschlichkeit. Der Sound, so die vollmundige Ansage, sei reifer geworden, es gehe nun um Songwriting und Präzision, ohne den Wahnsinn der ersten Werke komplett ad acta zu legen.
Ein paar lautere, wildere Songs gibt es nach wie vor, darunter die fantastische Single „U&ME“. Im Vergleich zu den Anfangstagen von alt-J wirkt der Track fast schon entspannt, der stampfende Pop mit Art- und Soul-Flair hebt sich dennoch ab und wagt in der Mitte kleinere Experimente. Das krasse Gegenteil hört auf den Namen „Get Better“ und propagiert knapp sechs Minuten lang fast schon flüsternden Minimalismus. Folkige Ideen treffen auf komplett reduzierte Instrumentierung und verwaschene Vocals. Diese Songwriter-Nummer kriegt mit „Losing My Mind“ eine grandiose Fortsetzung, eine Spur schillernder und im Abgang noisig bis verspielt, aber trotzdem charmant.
Im lebhafteren Sektor bewegt sich hingegen „Hard Drive Gold“, dessen wuchtiger Beat und basslastiger Drive ordentlich nach vorne geht, von gelegentlichem Falsett und hibbeliger Tanzbarkeit begleitet. Da sind sie wieder, die dezent durchgeknallten alt-J, bloß in knapperen Dosen. Hingegen gibt sich „Philadelphia“ etwas verschachtelt und beatesk. Die Streicher-Lead kommt gut, rundherum blubbert es herrlich ominös, ein bisschen Soundtrack-Qualität macht sich breit. Mit „The Actor“ setzt es einen weiteren eingängigen Exkurs, etwas lauter und doch beseelt – quasi der ideale Mittelweg dieser Platte. Davor wartet mit „Happier When You’re Gone“ ominöser Art-Pop, eine düstere und doch betörende Antwort auf Everything Everything.
Auch „The Dream“ fühlt sich hin- und hergerissen zwischen großem Anspruch und feinsinniger Kunst. Und, tatsächlich, alt-J sind stärkere Songwriter geworden, finden das richtige Augenmaß und lassen sich trotzdem gekonnt treiben. Konstant wechselnde Stimmung trifft auf spannendes Storytelling, der Spagat von der folkigen Sinnsuche zum lauten Electro-Pop-Leckerbissen zur kunstvoll arrangierten Beschreitung kauziger und zugleich ultra-eingängiger Alternative-Pfade gelingt. Obendrauf setzt es noch den einen oder anderen Hit, der eigentlich keiner sein will. alt-J sind wieder dort, wo sie hingehören, und schaffen es immer wieder zu unterhalten. Und positiv zu überraschen.
Wertung: 4/5
Erhältlich ab: 11.02.2022
Erhältlich über: Infectious Music / BMG Rights Management (Warner Music)
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