Musa Dagh – Musa Dagh
Lange Jahre wurde der Begriff ‚Supergroup‘ geradezu inflationär gebraucht, schien sich aber zuletzt ein Stück weit zurückzuziehen. Und tauchen einige Herren auf, die diesen Namen wirklich verdient haben. Hinter Musa Dagh – benannt nach einem Zufluchtsort für 4.000 Armenier während des Völkermords im Jahr 1915 – stecken Charakterstimme Aydo Abay (ABAY, Ken, ehem. Blackmail) Noise-Rock-Großmeister Aren Emirze (Harmful, Taskete! und Emirsian), Schlagzeug-Powerhouse Thomas Götz (Beatsteaks) und Rock-Superproduzent Moses Schneider. Das erste Album heißt wie die Band und der Sound ist von impulsiver Wucht.
Abay und Emirze wollten schon seit den 90er Jahren gemeinsame Sache machen. Letzterer steuert einen Strauß kaputter Riffs bei, die klar von seinen noisigen Wurzeln beeinflusst sind und Thomas Götz‘ Drumming alles abverlangen. Tatsächlich klingt dieser anders als bei der Hauptband, wie bereits der Opener „Coin Bank“ zeigt. Schroffe, hingerotzte Uptempo-Attacken wechseln sich mit luftigen und zugleich ominösen Flächen ab, während Abay seine Stimmbänder in vertraute Sphären trägt. „Halo“ ist ähnlich wild und durchgeknallt, springt mit dem Hinterteil voran ins Gesicht und packt Ideen für mindestens vier Songs in gut 200 Sekunden. Wechselndes Tempo, schrille Einschübe und ein wenig Gefühl sorgen für unterhaltsame Verwirrung.
Das noisige Gewand passt dem Trio prima, wobei natürlich gewisse Alternative-Rock-Einflüsse eigentlich unvermeidlich sind. „Kool Aid“ lässt aus dem Nichts einen gewaltigen Refrain los, der mit dicken Gesangsharmonien gegen die furztrockene Instrumentierung ankämpft. In dieser konstanten Spannung entsteht mit „Plural Me“ ein weiterer eingängiger Moment, wenngleich es hier für Musa Dagh insgesamt durchaus brav vor sich geht. Einzig in der finalen Minuten lösen sie sich langsam von irdischen Sphären mit dezenten Space- und Psychedelic-Einflüssen. Das funktioniert ebenfalls gut. Im forschen „Superhuman Gift Shop“ kommt schließlich alles zusammen, stehen mörderische Melodien neben feistem Stakkato. „I’m Fine, Thx“ lautet später das stockende Credo. Fast kauft man es ihnen ab.
Irgendwie ist „Musa Dagh“ genau die Platte geworden, die man angesichts der beteiligten Musiker erwarten konnte. Und zugleich auch ganz und gar nicht, das ist ja das Paradoxe an den Herren Abay, Emirze und Götz. Nie lässt sich so richtig erahnen, was hinter der nächsten Tür lauert, wohin die Songidee zieht. Selbstverständlich dreht sich hier einiges um 90s-Noise-Rock, aber eben nicht nur. Zugleich könnte der Kontrast aus Moses Schneiders etatmäßig furztrockener, erdiger Produktion und den zuweilen butterweichen Gesangsmelodien kaum krasser sein. Das Debüt von Musa Dagh muss man sich erst erarbeiten. Wenn es schließlich zündet, erwachen alle Sinne gleichzeitig zum Leben für eine faszinierende, rifftastische Erfahrung, die kaum sperriger und harmoniebedürftiger klingen könnte. Paradox, eben.
Wertung: 4/5
Erhältlich ab: 26.11.2021
Erhältlich über: Hayk Records (Cargo Records)
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