Slut – Talks Of Paradise

Slut
(c) Gerald von Foris

Geduld ist eine Tugend, welche Slut-Fans zur Genüge kennen. Die Indie-Urgesteine aus Ingolstadt brechen nichts übers Knie, doch sind fast acht rekordverdächtige Jahre seit „Alienation“ vergangen. Tatsächlich ging man nach der Konzertreihe im Sommer 2014 auseinander, ohne fixe Vereinbarung für Zukunftspläne. Erst 2017 trafen sich Rainer Schaller und Chris Neuburger wieder, gingen später eine Woche lang nach Athen, um Songs zu schreiben, und lieferten die Basis für „Talks Of Paradise“. Das mittlerweile neunte Album der Bayern klingt allerdings anders als erwartet.

Bereits die Vorboten zeig(t)en eine deutlich synthetischere Seite, elektronisch und doch unverkennbar Slut. Das nahm schon im Vorjahr mit „For The Soul There Is No Hospital“ seinen Anfang, dessen lässiger, treibender Bounce Experimentalität mit Ohrwurm-Charakter vermischt. Ähnliches bemüht „The Worst Is Yet To Come“. Neuburgers gesungenes Understatement harmoniert prima mit der natürlich Smoothness des Tracks, dazu kommt ein locker-flockiger Rhythmus mit unterschwelligen Claps und bezauberndem Art-Pop, der von Rock bis Fast-RnB alles bedient. Eine solche Entwicklung kennt man von Radiohead, bloß schreiben Slut weiterhin durchaus eingängige Tracks.

Gitarren haben aber keineswegs ausgedient, sie werden bloß konzentrierter eingesetzt. Dabei kommt im Idealfall eine Großtat wie „How Trivial We Are“ heraus. Wie der Song mit jeder Sekunde weiter und weiter aufblüht, nur um auf dem Höhepunkt einen großartigen Refrain zwischen magischer Pop-Harmonie und feinsten Indie-Widerhäkchen zu entfalten, beeindruckt. Neben dieser Nummer für die Ewigkeit, die sich locker mit den großen Bandklassikern messen kann, gibt es andere positive Aufreger. Der Opener „Good For All“ spaziert erhobenen Hauptes durch das Electro-Pop-Tor und ist dennoch von spektakulärer Komplexität, das federleichte und doch dringliche „Belly Call“ legt eine weitere zeitlose Melodie frei und „Black Sleep“ ist in seiner brodelnden Unausgeglichenheit ungemein aufregend.

Alles ist irgendwie anders und doch so fantastisch: Nach der Mutter aller Kunstpausen kehren Slut mit frischem Elan, einem klanglichen Einschnitt und der nahezu perfekten Balance zwischen Anspruch und Eingängigkeit zurück. „Talks Of Paradise“ trägt die DNA der großen Alben der Bayern in sich, sofern man sich auf diesen generalüberholten Einsatz einlassen kann. Die Experimentalität müsste auf dem Papier wesentlich sperriger wirken, doch zeigen sich die Ohrwürmer noch kolossaler, bleiben nach ein paar Durchläufen hängen, scheinen stetig weiter zu wachsen. Ja, man muss sich erst in diese neue Slut-Platte hineinhören, diese entschlüsseln. Der Lohn ist eines der besten Werke ihrer ohnehin illustren Karriere. Wie schön, Slut wieder zurück zu wissen.

Wertung: 4,5/5

Erhältlich ab: 18.06.2021
Erhältlich über: Lookbook (Cargo Records)

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