Sinoptik – The Calling
Sinoptik sind Fremde im eigenen Land. Die drei ukrainischen Musiker stammen aus der Region Donetsk und mussten aus Sicherheitsgründen nach Kiev ziehen. Dort werden sie, wie auch andere Mitbürger*innen aus dem konfliktreichen Gebiet, für den Ausbruch des Kriegs mit Russland beschuldigt. „The Calling“, das bereits fünfte Album der Band, thematisiert dieses paradoxe Gefühl und versucht Eskapismus durch die Musik zu schaffen. Rock-Sounds mit deutlichem 70s-Einschlag zwischen Progressive, Alternative und semi-okkulter Finsternis begleiten dieses Unterfangen.
All das kommt beispielsweise in der Auskopplung „Black Soul Man“ prima zusammen. Besagte Okkult-Rock-Untertöne erinnern etwas an Black Sabbath oder Blue Öyster Cult, die verspielten Instrumental-Schleifen an Pink Floyd und die energische Düsternis sogar an die Grunge-Urväter. Im herrlich schrägen „Granny Greta“ servieren Sinoptik hingegen entstellte, quengelnde Stoner-Riffs, die von leicht poppigen Untertönen torpediert werden und schließlich zu einem wuchtigen, druckvollen Refrain zusammenfinden. Semi-metallischer Groove aus der Garage ist das begeisternde Ergebnis, die falschen Enden und verspielten Schleifen entpuppen sich als willkommene Begleiter.
Das abschließende „The Call“ geht als krasses Gegenteil durch. Nicht nur, dass die Ukrainer den Track auf weit über neun Minuten aufblasen, ausladende Prog-Flächen, psychedelische Untertöne und hymnische Sehnsucht mit einer Prise Power-Ballade im Hauptteil erreichen ein unerwartetes Maximum an Grandezza. Hier wird Spur über Spur gelegt, ohne übers Ziel hinauszuschießen. Ähnlich kunstvoll gibt sich „Young And High“, wenngleich deutlich direkter. Dieser vergleichsweise modern anmutende Song greift abermals dezente Stoner- und Desert-Vibes auf, legt bratenden Alternative Rock darüber und verliert sich zwischendurch in einer Mini-Jam-Session samt Muse-Auflösung. Das dürfte nicht funktionieren, tut es aber.
Widersprüche lösen sich automatisch auf, und das macht „The Calling“ gleich noch ein Stück besser. Natürlich werfen Sinoptik gefühlt alles, was ihnen in die Finger kam, in einen gewaltigen Topf. Doch das ist nicht einmal die halbe Geschichte. Bei allen vertrauten Referenzen mit 70s- und kleinem 90s-Schwerpunkt ziehen die Ukrainer doch stets ihr eigenes Ding durch – manchmal hymnisch, manchmal frontal, dann wieder verspielt und proggig. Zwischen Kopfnickern und Kopfhörern bleibt ein stimmiges, kurzweiliges Album, das sich offene Ohren verdient hat. So wie auch die Musiker dahinter.
Wertung: 4/5
Erhältlich ab: 11.06.2021
Erhältlich über: OneRPM
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