Watching Tides – We’ve Been So Close // Yet So Alone

Watching Tides
(c) Ingo Christiansen

Läuft aktuell ein kleines Midwest-Emo-Revival an? Gefühlt scheinen sich überdurchschnittlich viele Bands mit dem 90s-Sound zu befassen, von tatsächlichen Comebacks ganz zu schweigen. Watching Tides befinden sich ebenfalls in diesem ungefähren Dunstkreis. Das Trio aus Berlin bringt obendrein etwas Post-Hardcore und sogar leicht angepunkten Drive in den Mix ein, der sie bereits auf zwei EPs begleitete. „We’ve Been So Close // Yet So Alone“ ist ihr Debüt auf Albumlänge und rechnet mit diversen Altlasten aus der persönlichen Vergangenheit ab, mit alten Freundschaften und der Heimat.

Da wäre beispielsweise die erste Single „Strange Friend“, ein nachdenklicher Midtempo-Track über das Gefühl von Einsamkeit, wenn man nicht ehrlich zu jemandem sein kann. Watching Tides geben sich umfassender emotionaler Schwere hin, im Refrain brodelt es ein wenig. Dafür ist vor allem das überaus lebhafte, verspielte Schlagzeug verantwortlich, songdienlich und doch so wunderbar dynamisch. „It Will Hurt Whatever“ gibt sich ähnlichen Konzepten hin, wenngleich der Gesang etwas lichteren Emo-Momenten folgt. Drei Minuten lang scheint der Song auf eine Explosion zuzusteuern, die jedoch ausbleibt. Auch das ist eine Form von Schmerz, auf wunderbar süßliche Art.

Im eröffnenden Titelsong packen die Berliner einfach mal alles aus, was ihren Sound so packend macht. Ein stetes Auf und Ab mit angedeuteter Härte, dezent punkigen Untertönen und herrlich nervösen Gitarren geht mit wachsender Begeisterung an die Substanz. „Too Heavy“ eröffnet hingegen mit Emo-Math-Gitarren Marke Tiny Moving Parts und hält das Tempo hoch. Es rappelt und rumpelt, wiegt dennoch sicher in den Armen und spendet die feinste Prise Hoffnung. Dabei bleibt es natürlich nicht, und so beschließt „Your Silence Says It All“ die Platte in jeglicher Hinsicht passend. Erdrückende Schwermut erfasst einen der besten Refrains dieses Einstands.

Einmal durch Mark und Bein und wieder zurück: „We’ve Been So Close // Yet So Alone“ ist genau das, was der Titel aufs Tableau bringt – ein Gefühl der Distanz bei aller Nähe, das sich wie ein roter Faden durch die Lyrics zieht. Rundherum zimmern Watching Tides eine feine Mischung aus Emo-Rock, Post-Hardcore und Westentaschen-Punk, sehr eindringlich und doch zu keiner Zeit aufdringlich. In anderen Worten: Jeder Song spricht für sich auf besonders aufwühlende Weise, und doch funktioniert die Platte am besten in ihrer Gesamtheit, als Streifzug durch die emotionale Zerrissenheit kondensierter Anti-Nostalgie. Diese Gezeitenwechsel wollen unbedingt weiterhin beobachtet werden.

Wertung: 4/5

Erhältlich ab: 28.05.2021
Erhältlich über: This Charming Man Records (Cargo Records)

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