Lou Barlow – Reason To Live
Bislang hat Lou Barlow ein fantastisches Jahr. Nicht nur, dass er auf der neuen Dinosaur Jr.-Platte deutlich mehr Raum zur freien Entfaltung erhielt, nur fünf Wochen später veröffentlicht der Indie-Veteran sein viertes Soloalbum. „Reason To Live“ ist das erste Lebenszeichen im Alleingang seit 2015 und zeigt einen Barlow, der aus dem Chaos erstaunliches Selbstbewusstsein bezog. Endlich konnte er sein Leben als Familienvater mit seinem musikalischen Dasein verbinden. Entsprechend ausgeglichen und doch eindringlich zeigt sich diese Sammlung.
„Reason To Live“ ist nicht einfach nur irgendeine Platte, sondern mit gleich 17 (!) Songs in einer knappen Dreiviertelstunde eine erstaunlich umfangreiche Bestandsaufnahme. Barlow hatte Zeit und Energie, das hört man der Platte auch an. Dass dabei ein Track wie „All You People Suck“ herauskommt, der bei aller oberflächlicher Lieblichkeit zwischen Singer/Songwriter, Folk und Americana etwas Biss mitbringt, passt ins Bild. Anstatt jedoch Gift und Galle zu speien, bemüht sich der Künstler um ehrliche Beobachtungen. Es wird nicht einfach mit Flüchen um sich geworfen, es gibt einen logischen Faden.
Mit seiner Akustikgitarre und direkten, dennoch freundlichen Art wirkt Barlow entwaffnender denn je. „I Don’t Like Changes“ lautet eine von vielen nachvollziehbaren Feststellungen. Aus den Saiten holt er gar magisch Schimmerndes heraus, man meint einen fröhlichen, in sich ruhenden Künstler zu hören. Der Titelsong „Reason To Live“ klingt vollmundig, trumpft mit einem ausformulierten Arrangement und Smoothness auf. Das hat Stil, doch sind die kurzen, spontan wirkenden Episoden mindestens so toll. Wie er „Over You“ in 94 Sekunden hinrotzt, auf der Gitarre herumspielt und ein paar Zeilen ins weite Rund wirft – es kann so einfach sein. Ähnliches gelingt dem forschen „Thirsty“ mit Erfolg und Nachdruck.
Und so wirft der Mittfünfziger mal eben sein bestes Solowerk ab. „Reason To Live“ besinnt sich auf das Wesentliche eines Musikers, der momentan gefühlt nicht falsch machen kann. Lou Barlow steht über den Dingen mit beneidenswertem Elan. Das artet jedoch keinesfalls in Überheblichkeit aus, sondern wirft richtig gute Songs zwischen spontanen Energieschüben und geschickt ausformulierten Gefühlsduschen ab, voller Esprit und harmonischer Eigentümlichkeit. Nach dem besten Barlow bei Dinosaur Jr. gibt’s nun den besten Barlow im Alleingang. Schöne Sache.
Wertung: 4/5
Erhältlich ab: 28.05.2021
Erhältlich über: Joyful Noise Recordings (Cargo Records)
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