Lice – Wasteland: What Ails Our People Is Clear
Das nächste gut gehütete Geheimnis aus der britischen Art-Punk-Szene startet durch. Lice aus Bristol machen keine halbe Sachen. Erst 2016 gegründet, tourte das Quartett wiederholt als Support ihrer guten Freude Idles, auf deren Label auch die ersten EPs der Band erschienen. Mittlerweile haben Lice ihre eigene Plattenfirma, die als Plattform für experimentelle Künstler dienen soll. Und experimentell ist das, was es auf dem Debütalbum „Wasteland: What Ails Our People Is Clear“ zu hören gibt, allemal – konzeptuell wie musikalisch.
Lice haben ein Konzeptalbum in Form einer experimentellen Kurzgeschichte aufgenommen, die sich mit Science-Fiction und magischem Realismus auseinandersetzt, begleitet von Art-Punk, der in hibbelige Post-Schwere, druckvollen Rock, aggressiven Noise und verstörende Elektronik ausartet. Alleine über die Idee dahinter und über das begleitende Pamphlet könnte man endlos schreiben, aber funktioniert die Musik auch ohne die Rahmenhandlung? Tatsächlich gelingt das prima – siehe und höre das angenehm unbequeme „R.D.C.“, für das Lice ellenlang in brodelnder Stasis verharren, nur um durch urplötzliche Zuckungen Fahrt aufzunehmen. Dicke, entstellte Punk-Gitarrenwände torpedieren die Gefühlslandschaft mit Reißzwecken.
Eine gewisse Weirdness lässt sich nicht von der Hand weisen, und so sind die Briten dann am besten, wenn sie einfach machen. Das im besten Sinne abgefuckte „Deluge“ bleibt mit seinen schroffen, verstörenden Kaskaden sofort hängen. Durchgehende Entladungen roher Natur und scharfkantige, beinahe metallische Riffs kollidieren mit schroffen Effekten. Dem gegenüber stehen Songs wie „Espontáneo“, die zwischen Brachialmeditation und Quengeltanz den Kunstgedanken betonen. Hingegen legt „Pariah“ mit übersteuerten Industrial-Salven los, aus denen sich ein entfremdeter Soundtrack einer interstellaren Apokalypse des Understatement herausschält. Der Opener „Conveyor“ bewegt sich wiederum in vergleichsweise klaren Strukturen, zuckt heftig und hebt im richtigen Moment verstörend ab.
Tatsächlich ist dieser Erstling auf Studiolänge etwas verstörend, doch gerade dieser experimentelle Art-Ansatz macht „Wasteland: What Ails Our People Is Clear“ hochspannend. Der stete Unruheherd namens Lice wirft mit Genres, Konzepten und Ideen um sich – lyrisch wie musikalisch – häutet sich wiederholt und stellt atmosphärischen Anspruch über Songdienlichkeit. Dass dabei trotzdem ein sehr hörenswertes wiewohl kaputtes Album herausgekommen ist, beeindruckt und verwundert. Die latente, ununterbrochene Verballhornung jeglicher vertrauter Punk-Ansätze strapaziert das Nervenkostüm mit wachsender Begeisterung, und doch findet man helle Freude an diesem kurzweilig manischen Husarenritt mit ausgeprägter Cleverness.
Wertung: 4/5
Erhältlich ab: 08.01.2021
Erhältlich über: Settled Law Records (Rough Trade)
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