Linhay – On How To Disappear
Linhay haben ein typisches Emo-Album aufgenommen, so schallt es von den Bäumen. Die vier Kieler, seit Ende 2016 unterwegs, verstehen sich vor allem auf die Midwestern-Schiene des Sounds und liefern doch alles andere als Stangenware – siehe und höre die gemeinsame Split-EP „&“ mit der Band East aus dem vergangenen Jahr. Eine gewisse Eigenständigkeit ist ebenso wenig zu leugnen wie die offenkundigen Referenzen, und so findet der Full-Length-Einstand „On How To Disappear“ frische Ansätze in einem vertrauten Umfeld.
Ein wunderbares Beispiel für dieses Finetuning bekannter Elemente liefert „Poem“. Linhay spielen mit einem leicht verwaschenen Sound, der keinesfalls unterproduziert ist. Alternative-Elemente und ein wenig Post Rock schwingen fast immer mit, öffnen Räume und geben den Songs ein luftiges, durchaus zeitloses Flair. Nach der Zwei-Minuten-Marke verschärft sich die Gangart plötzlich, es wird laut und eindringlich. Die Kieler sind nur einen Hauch von Post-Hardcore entfernt, drehen jedoch ab. „In Sunshine And In Shadow“ bringt den Charme des Quartetts ebenfalls auf den Punkt, lässt den schrammelnden Melodien Platz für freie Entfaltung. Ausgedehnte Klangteppiche gehen direkt ans Herz, nehmen fest in den Arm, wiegen hin und her.
Die Schönheit des Moments im emotionalen Umfeld – vielleicht fasst das diesen Einstand am besten zusammen. In „Water“ finden sämtliche Welten zusammen von der plötzlichen Beschleunigung über die flirrenden Gitarren bis zur gelegentlichen Gemächlichkeit zwischen Hoffnung und Zweifel, in fünf ellenlange Minuten gesteckt. Der Rausschmeißer „La Lune“ packt sogar noch etwas drauf und arbeitet in bester Post-Rock-Steigerung seine Gefühlswelt auf. Immer länger, immer lauter, immer intensiver – schnell entwickelt der Song ein Eigenleben und blüht bis zum Zusammenbruch tatsächlich wiederholt auf. Das butterweiche, fragile und doch mächtige „Shy“ bringt als Gegenpol die Stimmung auf den Punkt, komplett ohne Umschweife. Warum auch?
Wie typisch oder untypisch „On How To Disappear“ ist, dürfte eine Frage des persönlichen Geschmacks sein. Natürlich trägt dieses Debütalbum deutlichste Emo-Spuren in sich, verneigt sich vor den Größen des Genres, und setzt doch eine Art atmosphärischen Weichzeichner zur pointierten Entfremdung ein. Was anfangs nach fehlendem Wumms klingt, begeistert mit jedem Durchlauf mehr, wird immer intensiver, geht nahe, wandelt Unruhe in Euphorie um. Geduld ist in diesem Fall eine Tugend, und Linhay belohnen das musikalische Sitzfleisch in rauen Mengen mit einem wahrhaftig feinsinnigen Emo-ish-Leckerbissen.
Wertung: 4/5
Erhältlich ab: 04.09.2020
Erhältlich über: BLOODSTREAM (Indigo)
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