Everything Everything – Re-Animator
Ihre letzten beiden Platten waren entweder politisch und gesellschaftskritisch oder finster und fatalistisch. Genau das wollen Everything Everything jetzt hinter sich lassen und – wie es oft gerne heißt – zurück zu den Wurzeln kehren. Tatsächlich konnten die Briten die angepeilte Direktheit und Unmittelbarkeit realisieren. Auf „Re-Animator“ bemüht sich die Band um einen deutlich songdienlicheren Ansatz und rückt, zumindest im Vergleich zu den letzten Releases, die Gitarren wieder etwas weiter in der Mittelpunkt.
Damit wäre aber keinesfalls gesagt, dass es nicht abermals synthetisch und poppig vor sich ginge – anders geht es bei Everything Everything nicht, und gerade das macht den Charme des Quartetts aus. Da wäre beispielsweise das verschrobene und doch treibende „The Actor“. Zwar stammt die Idee von einer Akustik-Gitarre, davon blieb allerdings herzlich wenig. Der reduzierte Uptempo-Track blüht förmlich auf. In „Arch Enemy“ schwingen lässige Funk-Vibes mit, die entsprechende lyrische Abgründe gekonnt kaschieren. Der fatalistische Tanz kommt gut. Und dann wäre da noch „Violent Sun“, für die Band der perfekte letzte Song im Club. Die kleine Hommage an New Order hebt von der ersten Sekunde an mit seinem hektischen Drum-Pattern ab, lässt vermehrt leicht wirre Gitarren zu und bleibt dennoch ultra-eingängig.
Der Spagat zwischen Pop, Rock und Art gelang selten so gut wie auf dieser Platte. „Moonlight“ wäre eine weitere packende Episode. Hier klingen durchaus vertraute Radiohead-Einflüsse nicht nur in der Gesangsmelodie durch. Die feine Klinge trifft auf große Alternative-Kunst, auf viel Gefühl und ein wenig Weltschmerz. Hier hakt „It Was A Monstering“ ein, musikalisch ähnlich veranlagt und doch eine Prise flotter. Schnell brennt sich die verschrobene Abfahrt ein und setzt großartige Druckwellen frei. Everything Everything können aber auch anders und liefern mit „In Birdsong“ ein atmosphärisches Meisterstück, das an ruhige Klaxons-Perlen erinnert.
Obwohl „Re-Animator“ insgesamt direkter und songdienlicher wirkt, dauert es doch eine Spur länger, bis die Songs abheben. Keine großen Pop-Melodien, keine wiederholten Synthie-Modulationen, kein plötzlicher Paradigmenwechsel: In ihrer neuen Eingängigkeit klingen Everything Everything verspielter und experimenteller als zuletzt. Dieses Kuriosum bekommt dem Sound der Briten allerdings richtig gut, denn in dieser Dreiviertelstunde hat sich kein einziger Durchhänger, keine schwache Sekunde eingeschlichen. Große Songwriting-Kunst mit noch mehr Gefühl und Rock – auch das sind Everything Everything, auch das unterhält grandios.
Wertung: 4/5
Erhältlich ab: 11.09.2020
Erhältlich über: Infinity Industries / AWAL (Rough Trade)
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