Narrow Head – 12th House Rock
Erleben die 90er Jahre aktuell ein weiteres Revival oder sind sie bloß unzerstörbar? Diese und ähnliche Fragen stellt man sich unweigerlich, wenn Narrow Head das Parkett betreten. Das Quintett aus Texas stoppelt seinen Sound aus Versatzstücken von Alternative Rock, (Post-)Grunge und Shoegaze zusammen, rifflastig und schonungslos ehrlich. Ihr zweites Album „12th House Rock“ produzierten die US-Amerikaner ein weiteres Mal selbst und ohne Hilfsmittel.
Die Intensität dieser Platte ist stets greifbar. „Stuttering Stanley“ greift mit angenehm abgehangenen Riffs und fluffiger Schwere an. Jacob Duarte bringt stets etwas wenig Melodik in seinen Gesang ein und lockert das Geschehen mit Shoegaze-Elementen auf. Entsprechend bleiern schwer und federleicht gibt sich diese eigenwillige, dennoch eingängige Mischung. Der Opener „Yer‘ Song“ baut von der ersten Sekunde an zentnerschwere Wände auf und legt den Finger in unsichtbare Wunden. Wie eine harmonische Wand – Erinnerungen an Trail Of Dead und Dinosaur Jr. werden im Quasi-Refrain nach einer Minute wach – torpedieren selbst finsterste Momente mit Harmoniebedürfnis. Vom fuzzigen Gitarrensolo bis zum schrubbenden, lakonischen Breakdown stimmt alles.
In jedem dieser 13 Kapitel nimmt Duarte kein Blatt vor den Mund und behandelt die dunkelsten Momente seines Lebens. Mehrere Songs drehen sich um Medikamentensucht, darunter das wunderschöne und zugleich zerstörerische „Emmadazey“ oder das ebenso bedrohliche wie einladende „Hard To Swallow“. Tatsächlich passt dieser musikalische Widerspruch perfekt zum behandelten Thema, denn die Highs und Lows liegen bei dieser Form der Abhängigkeit nahe beieinander. Zwischendurch lässt sich der Frontmann zu wütenden Schreien hinreißen, die sich in der kurzen Episode „Crackcase“ manifestieren. Selten war die Nähe zu Deftones deutlicher als hier. Die bedrückenden, epischen Monstrositäten am Albumende, „Delano Door“ und „Evangeline Dream“, wirbeln die Gefühlswelt schließlich komplett durcheinander.
„12th House Rock“ als Wechselbad der Gefühle zu bezeichnen, wäre wohl dezent untertrieben. Eine konstante Unruhe umgibt diese 52 Minuten, umtriebig und aufgeregt, dabei auf gewisse Weise tiefenentspannt. Über all dem thront die ehrliche Hommage an ein längst vergangenes Jahrzehnt mit einfachsten, wohl deswegen effektivsten Mitteln. Narrow Head tauchen tief ein in die eigene Unberechenbarkeit ab und liefern kleine Songperlen, die in ihrer Ungeschliffenheit sanft im Arm wiegen, unter Gewaltandrohung wegstoßen und doch wieder mit schüchternem Lächeln etwas Zuwendung suchen. Selten saßen die zerrissenen Jeans besser.
Wertung: 4/5
Erhältlich ab: 28.08.2020
Erhältlich über: Holy Roar Records / Run For Cover Records (Membran)
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