Bully – Sugaregg
Alicia Bognanno musste sich erst von alten Verhaltensmustern – privater wie musikalischer Natur – verabschieden, um voranzukommen. Sie räumte mit ihrem Ego und ihren Unsicherheiten auf, um das Soloprojekt Bully zurück in die Spur zu bekommen. Seitdem ihre bipolare Störung entsprechend behandelt werden kann, änderte sich nicht nur Bognannos Herangehensweise, sie kann nun sogar darüber schreiben. „Sugaregg“ entstand über mehrere Monate und in mehreren Studios, erstmals mit Unterstützung von außen im Aufnahme- und Engineering-Prozess.
„Where To Start“, fragen sich an Bully an dritter Stelle, und stürzen sich letztlich doch Hals über Kopf in diese Platte. Bognanno singt und spuckt die Silben abwechselnd aus, passt sich der angenehm dreckigen Instrumentierung mit Alternative- und Grunge-Untertönen an. Dicke Distortion trifft auf noch dickere Harmonien, kleinflächige Eruptionen peitschen das Geschehen an. „Stuck In Your Head“ mag es sogar noch lauter und gibt sich wilden Punk-Ansätzen an. Die Druckwellen scheinen gleichzeitig von allen Seiten zu kommen, die furiose Wut wird zum eingängigen Begleiter. Aus der Aggression schält sich Eingängigkeit, bevor der Track wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt.
Musikalisch ist man längst einige Türen weiter. Das eröffnende „Add It On“ ist Kampfansage und State of Mind zugleich, legt nach kurzem Intro mit furioser Intensität los. Power-Pop trifft auf entstellte Noise-Salven, der Gesang wirkt im Vergleich dazu stellenweise butterweich. Hingegen bemüht „Prism“ das Langformat und wirkt für Bully-Verhältnisse zurückgelehnt. Ein Hauch von Gaze umgarnt den Fünfminüter, urplötzlich hebt die nächste Mini-Druckwelle ab. Es bleibt laut und launisch, stets dem Abdriften ins Fatalistische nah. Dort lauert bereits „Hours And Hours“, das sich über unbequeme Strophen in einen lauten, unnachgiebigen Frontalangriff hangelt und bei aller Pointiertheit die Fingernägel aufrollt.
Ein gewisses Unwohlsein umweht diese 38 Minuten, wiewohl es von bezaubernder Sorte ist. Alicia Bognanno mag sich zwar auf sämtlichen Ebenen gefunden haben, ihre Musik ist jedoch so schroff, so unbequem und zugleich so eingängig wie eh und je. „Sugaregg“ ist dennoch vielleicht die bislang songdienlichste Bully-Platte mit reihenweise Anti-Hits und schonungsloser Ehrlichkeit, zwischen 90s-Alternative, spätem Grunge und noisigem Power-Pop harmonisch-ruppig verankert. Zwischen den Gegensätzen tummeln sich gewohnt starke Songs – alles beim Alten, doch ganz anders und letztlich packend stark.
Wertung: 4/5
Erhältlich ab: 21.08.2020
Erhältlich über: Sub Pop Records (Cargo Records)
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