H.B. Nielsen – Grand Opening

Wenn ein Reisender nachhause zurückkehrt, bringt er in der Regel viele Geschichten mit. Das gilt in hohem Maße für Henric Beckenäs Nielsen. Vor vielen Jahren zog er von Schweden nach New York, um College-Eishockey zu spielen, nahm aber schnell stattdessen die Gitarre zur Hand. Später entdeckte er das Tatöwieren für sich, machte aus der Leidenschaft einen Beruf und reiste um die Welt, bevor er sich 2018 in Göteborg niederließ und erneut die Klampfe auspackte. Auf seinem Debüt „Grand Opening“ gibt er nun seinen Erfahrungsschatz weiter und konzentriert sich vor allem um Abschiede sowie damit verbundene Zweifel.
Nielsens ruhige, angenehme Stimme ist wie für Poesie gemacht, drängt sich aber keinesfalls auf. Oft verschwindet der Schwede ein wenig hinter dem Arrangement, was der Musik allerdings gut bekommt. Das eröffnende „Think I Need A Minute“ spielt wunderbar mit dieser Fragilität und nimmt im Refrain eine ähnlich zerbrechliche Zweitstimme hinzu. „The Wild Palms“ stützt sich noch stärker auf Reduktion, lässt die Akustik-Gitarre nur von einigen Soundschnipseln begleiten. So lauscht man dem Protagonisten nun tatsächlich in einem seltenen Moment der Klarheit und spürt schmerzvolle Ratlosigkeit, gepaart mit ein wenig Hoffnung.
Ein besonders schöner Exkurs ist „Xanax Blue“, das zugleich den eben erwähnten Faktor Hoffnung in den Mittelpunkt rückt. Nielsen wünscht einem guten Freund nur das Beste und klammert die alte Krücke Nostalgie komplett aus. Dafür taucht er, hörbar von seinen US-Reisen inspiriert, tief in das Americana-Songbook ein und holt sich zudem eine grandiose weibliche Zweitstimme an Bord. Etwas flotter geht es in „Anna’s Waltz“ vor sich, Nielsen tänzelt tatsächlich ein klein wenig durch den Rhythmus, nur um sich von der emotionalen Schwere beinahe erdrücken zu lassen.
„Grand Opening“ wirkt gleichzeitig unverbraucht und verlebt. Des Songwriters Biographie ist in weiten Teilen greifbar, seine musikalische Erfahrung ebenfalls, und doch wirkt dieses Debütalbum wie ein solches – das Aufnahmestudio als neue Erfahrung, der Platten-Release als Abschluss einer langen Reise. H.B. Nielsen zuzuhören, ist ein Gewinn, eine wundervolle wie bewegende Angelegenheit. Er scheint nur an der Oberfläche seines reichhaltigen Erfahrungsschatzes gekratzt zu haben, und so darf man sich wohl jetzt schon auf eine nicht minder packende Fortsetzung freuen.
Wertung: 4/5
Erhältlich ab: 01.05.2020
Erhältlich über: Backseat (Soulfood Music)
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