Kettcar – …und das geht so
Nach der Bandpause ist vor der Bandpause, und so kündigen Kettcar eine weitere Auszeit an, weil ihnen die letzte so gut getan an. „Ich vs. Wir“ hat bereits zwei Jahre auf dem Buckel, wurde ausgiebig betourt und erhielt eine kleine EP hinterher. Auch Anfang 2020 spielt die Band noch ein paar ausgewählte Konzerte, dann verabschiedet man sich erst einmal. Wer bei der kommenden Tour nicht dabei sein kann, kriegt das Doppel-Live-Album „…und das geht so“ für die eigene Stereoanlage.
21 Songs aus sämtlichen Phasen der Band und Nicht-Band (dazu ein wenig später) finden sich auf diesen sorgsam zusammengetragenen Musik-Dokument. Das Quintett wird von Philip Sindy, Sebastian Borkowski und Jason Liebert unterstützt – Kettcar trifft Blechbläser, wenn man so will. Weiß man das nicht, überrascht der feiste Swing des Openers „Rettung“ ein wenig, kommt letztlich aber gut. Im Übersong „Deiche“ erreicht die Indie-Big-Band sogar neue Sphären. Selten konnte man zum Beleuchtungsproblem beim Diskonter so herrlich das Tanzbein schwingen. Aber auch ruhige Momente, beispielsweise „Balu“, profitieren von der in diesem Fall zart mäandernden Instrumentierung.
Auf dieser begeisternden Hit-Sammlung ragen ausgerechnet zwei textintensive Tracks hervor. „Sommer ’89 (Er schnitt Löcher in den Zaun)“ wirkt aktuell wichtiger denn je. Marcus Wiebusch bohrt sich tiefer und tiefer in den Song – ein lyrischer Rauschzustand, den er im grandiosen „Der Tag wird kommen“ zu toppen versucht. Der einzige Exkurs aus Wiebuschs Solo-Karriere (so viel zum Thema „Nicht-Band“) treibt mit seinen pointierten Lyrics Pipi in die Augen. Natürlich sind alle anderen Wellenbrecher dabei, wie „Graceland“, „48 Stunden“ und das unkaputtbare „Landungsbrücken raus“ – für sich ein Höhepunkt. „Balkon gegenüber“ erhält endlich seine zweite Strophe und zum Schluss wird ein 15 Jahre ungespielter Klassiker vom Debüt ausgegraben: „Mein Skateboard kriegt mein Zahnarzt“.
Keine Frage, dieser Live-Exkurs ist wie von einem anderen Stern. Die Bandpause tat Kettcar unheimlich gut – das zeigte bereits ihr letztes Studioalbum, das untermauert „…und das geht so“ nun in atemberaubender Manier. Hier fehlt kein Song, der Schweiß tropft von der Decke, Gefühlswelten werden mit dem Schmiedeeisen aufstemmt. Songauswahl, Sound, Ansagen, Präsentation – so und nicht anders muss ein Live-Album klingen. Wer die Gelegenheit hat, sollte die Band nun erst recht auf den kommenden Terminen erleben. Wann sie zurückkehren werden – nein, müssen – steht noch in den Sternen. Verdient ist die kommende Auszeit aber ohne Frage.
Wertung: 4,5/5
Erhältlich ab: 29.11.2019
Erhältlich über: Grand Hotel van Cleef (Indigo)
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