Jamie Lenman – Shuffle
Nach dem Überalbum darf fleißig experimentiert werden: Mit „Devolver“ gelang Ex-Reuben-Frontmann Jamie Lenman ein kreativer wie musikalischer Volltreffer auf allen Ebenen. Packendes Songwriting, unvorhersehbare Arrangements und cleveres Genre-Bending förderten unzählige Hits zutage. Der Nachfolger entpuppt sich als eine Art Mixtape. „Shuffle“ ist als Blindflug durch allerlei Medien gedacht. Lenman lädt durch eine Cover- und Zitat-Rundreise durch seine absoluten Favoriten im Bereich Musik, Film, Cartoon, Videospiel, Buch und TV ein.
Vorhersehbar rein gar nichts an dieser Platte, denn im gängigen Lenman-Sound – Post-Hardcore, ein wenig Alternative Rock und ein Hauch von Screamo – geht es durch 14 bizarre Kapitel, von Shuffle-Sounds und Senderwechseln begleitet. Die Beatles kommen gleich mehrfach vor. „Tomorrow Never Knows“ eröffnet und erweist sich als scharfkantige Uptempo-Schlacht mit dicken, mächtigen Riffwänden und angepunkter Melodik. Zum Ende hin zieht er „Hey Jude“ in den Abgrund. Noise Rock und ein wenig Sludge begleiten zwei chaotische, angenehm kaputte Minuten für die Ewigkeit, die – wie so vieles an dieser Platte – erst einmal verwirren.
Warum liest Jamie Lenman aus „Moby Dick“? Was bezweckt das Hörspiel „You’re The Boss“? Und was wollen die loungigen-folkloristischen Episoden „Seikilos“ (die Vertonung einer der ältesten muskalischen Notationen der Welt) und „Taxi Driver“ bezwecken? Als eine Art multimediale Schnitzeljagd durch die Großhirnrinde des Musikers entwickelt sich ein Netz an Zitaten mit spannenden bis befremdlichen Momenten. So mutiert „Love Song For A Vampire“ zun entrückten Shoegaze-Kleinod und erhält der Titelsong von „Popeye“ wüsten Post-Hardcore-Anstrich. Der dramatische Aufbau von „Coda“ kommt dafür richtig gut. Hier brodelt es von der ersten Sekunde unter der Oberfläche, der Ausbruch wird dringend erwartet. Aber auch „Killer“, im Original von Adamski und Seal, reißt mit seiner dichten Atmosphäre förmlich vom Hocker.
„Shuffle“ kann mit seinem göttlichen Vorgänger nicht mithalten, aber das war auch nicht unbedingt Sinn der Sache. Die wirre Präsentation, der sprunghafte Wechsel zwischen Genres und Medien, das brüchige Netzwerk an Erinnerungen und (pop-)kulturellen Querverweisen – Jamie Lenman gewährt einen höchst spannenden Einblick in sein Innerstes und stellt vor größte Herausforderungen. Und doch funktioniert das Experiment, weil „Shuffle“ eben ordentlich Hits an Bord hat, weil das Konzept irgendwann doch aufgeht, weil die Summe der einzelnen Teile gar Großartiges hervorbringt. Geduld ist der Schlüssel zu einer weiteren hochspannenden Grenzerfahrung.
Wertung: 4/5
Erhältlich ab: 05.07.2019
Erhältlich über: Big Scary Monsters (AL!VE)
Jamie Lenman @ Home | @ Facebook
„Shuffle“ @ Amazon kaufen