Kind Kaputt – Zerfall

Kind Kaputt
(c) Uncle M Music

Musikalisch klingt das, was Kind Kaputt auf ihrem Debütalbum „Zerfall“ zelebrieren, durchaus vertraut. Alternative Rock, Post-Hardcore und ein wenig Emo mit deutschen Texten erinnern im besten Sinne an Fjørt, Lyvten und Heisskalt. So weit, so gut? Nicht ganz, denn beim Aufbau orientierte sich das Quartett am literarischen Genre des Bildungsromans. Über zwölf Songs wird die Entwicklung einer Figur an der Schwelle zur Reife in steter Kollision mit der harschen Realität ausgebreitet. Klingt anspruchsvoll, ist es auch.

Der Protagonist auf „Zerfall“ ist zwar kein Emil Sinclair und erst recht nicht Wilhelm Meister, sein Eintauchen in die Erwachsenenwelt gestaltet sich dafür spektakulär. Wut, Verzweiflung und Depression begleiten 46 faszinierende Minuten mit rasch wechselnden musikalischen Stimmungen. Selbst so eingängige, vergleichsweise rockige Tracks wie „Schwertschlucken“ driften urplötzlich ins Chaos ab. Fiese Stakkato-Attacken und blanke Post-Hardcore-Rage zerlegen den Wahnsinn des Seins in seine Einzelteile. „Du kommst so leise und dann bist du überall“, singt Johannes Prautzsch in „Abschied“ über den Zerfall an sich – ein fragiles Stückchen Musik mit ähnlich heftiger Explosion.

Viel Hoffnung ist den Songs so und so nicht anzumerken, selbst das sich zunächst vorsichtig vorantastende „Besteck“ rutscht urplötzlich in die Melancholie ab und explodiert schließlich. In „Der graue Mann“ ist die Stimmung bis zum Bersten gespannt, der Protagonist ist sich der Brüchigkeit seines Seelenlebens bewusst und lässt die finalen Kapitel „Eingeständnis“ und „Akzeptieren / Nachwort“ gekonnt zerbersten. Wer jetzt noch nach ein wenig Dr. Jekyll und Mr. Hyde in Musikform sucht, wird mit der Single „Geisel“, der in jeder Sekunde pure Anspannung anzumerken ist, fürstlich entlohnt.

Hier ist niemand mit sich selbst im Reinen, die konsequente Eskalation des wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallenden Seelenlebens ist in jeder Sekunde dieses Albums greifbar. Ob man „Zerfall“ nun als hochspannenden Bildungsroman – in ausformulierter literarischer Form gewiss interessant – oder als angenehm kaputte, abgefuckte Musikreise der Widersprüche auf- und annimmt, begeisternd ist das Debüt von Kind Kaputt allemal geworden. Fjørt und Co. müssen sich künftig warm anziehen.

Wertung: 4/5

Erhältlich ab: 22.03.2019
Erhältlich über: Uncle M Music (Cargo Records)

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