Marianne Faithfull – Negative Capability
Wie guter Wein wird Marianne Faithfull immer besser, je älter sie wird; sofern man bei dieser zeitlosen Ikone überhaupt von einem Alterungsprozess sprechen kann. Nächstes Jahr feiert ihr Referenzwerk „Broken English“ 40. Geburtstag, Platten gab es in der Zwischenzeit mehr als genug. „Negative Capability“ ist sogar das mittlerweile 21. Studioalbum der in Paris lebenden Britin, unterstützt von Veteranen und Ikonen wie Mark Lanegan, Rob und Warren Ellis, Ed Harcourt und Nick Cave.
Cave ist es auch, der an der ersten Single dieser Platte maßgeblich beteiligt war. Er schrieb das großartige „The Gypsy Faerie Queen“ gemeinsam mit Faithfull und trug Vocals bei. Begleitet von einsamen Streichern und ein wenig Piano, gibt die Britin zunächst die Erzählerin, wechselt sukzessive zum Gesang und lässt jene vertraute, gewöhnungsbedürftige Stimme ertönen, die seit über einem halben Jahrhundert verwirrt und verzaubert. Cave selbst setzt erst im langsamen, bewegenden Refrain ein und macht aus dem sympathischen Song ein mitreißendes, bewegendes Duett. Mit jeder Wiederholung, mit jedem Chorus intensiviert sich dessen Kraft und Ausstrahlung.
Das andere große Highlight dieser Platte hat bereits ein paar Jahre auf dem Buckel. Faithfull schrieb „They Come At Night“ – gemeinsam mit Mark Lanegan – nach dem Bataclan-Terroranschlag. Die folkig-unruhige Grundstimmung trägt Lanegans unverkennbare Handschrift, der Text – ein Hybrid aus apokalyptischer Vision und Kampfansage – könnte hingegen kaum typischer für die Faithfull sein. Immer lauter, immer intensiver wird der Track, punktet mit schroffer Ausstrahlung und angedeutetem Chaos. Rundherum bleibt es hingegen eine Spur ruhiger. Das Bob Dylan-Cover „It’s All Over Now, Baby Blue“ gestaltet sich als emotionaler Höhepunkt, der nachdenkliche Opener „Misunderstanding“ betont die Storytelling-Künste der Britin und das schwebende, federleichte „In My Own Particular Way“ geht als prima Credo durch.
Ja, „Negative Capability“ lebt von seinen beiden Ausnahmesongs, ist aber wesentlich mehr als das. Faithfulls berühmt-berüchtigte Stimme alleine erweist sich abermals als größte Einstiegshürde. Meistert man diese, wartet eine abgeklärte, zu jeder Zeit leidenschaftliche und mutige Platte, ein waschechtes Alterswerk, eine neue, kleine Explosion. Anders gesagt: „Negative Capability“ ist Marianne Faithfulls bestes Album seit vielen, vielen Jahren.
Negative Capability
VÖ: 02.11.2018
BMG Rights Management (Warner Music)
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