Second Letter – Cicatrix
15 Jahre lang hatte Rob Haworth seine Songwriter-Feder beiseitegelegt. Von seinen einstigen (Post-)Hardcore-Schauplätzen blieb nur noch Staub, stattdessen trieb der US-Amerikaner vornehmlich seine Karriere als Author und Akademiker voran. Mit seinen alten Bands hat Second Letter allerdings nicht sonderlich viel gemein. Der deutlich entschlacktere Rock-Sound erinnert eher an Guided By Voices oder den jüngsten Versuch der Foo Fighters, ein großes AOR-Album zu schreiben. Das Debütalbum „Cicatrix“ setzt sich, wie bei Haworth nicht anders zu erwarten, pointiert und kritisch mit etablierten wirtschaftlichen und (sozial-)politischen Strukturen auseinander.
Textlich regiert die gewohnt spitze Feder – es ist ein Album über eine zerbrochene Beziehung; nicht etwa romantischer Natur, sondern mit dem amerikanischen System. Dass diese herrlich bissigen Ergüsse in gemütlichen Alternative Rock gekleidet werden, macht auf schräge Weise Sinn und reißt mit. So klingt beispielsweise „Dead Emblems“ wie der Seele des tiefsten Mittleren Westens entnommen. Hymnische Melodien und ein Hauch von melancholischem Weltschmerz erweisen sich als stete Begleiter im eingängigen Gewand drohender Selbstzerstörung.
Es sind gerade die etwas längeren Tracks, in denen „Cicatrix“ über sich hinauswächst. So mutet „Examples“ zunächst wie eine ungelenkte Halb-Ballade an, entpuppt sich letztlich allerdings als unverschämt eingängiger Gassenhauer mit mehreren Raktenstufen, auf den selbst ein Dave Grohl verdammt stolz wäre. Wer es dann doch eine Spur härter und bissiger braucht, lässt sich vom fieberhaften „We’re Only Gonna Die“ mitreißen. Bob Mould lässt grüßen, während im geerdeten und doch verhalten getriebenen „Shame“ kurzzeitig die Afghan Whigs vorbeiwinken.
Second Letter nützen die von ihrem Edel-Label Arctic Rodeo bereitgestellte Vinyl-Länge optimal aus und erschaffen, quasi im Vorbeigehen, ein unverschämt eingängiges und leidenschaftliches Album gespickt mit kleinen und großen Rock-Perlen. Der Sound wirkt vertraut, die Stimme ebenso, bloß reißt die Doppelbödigkeit von „Cicatrix“ von den Sitzen. Das mag zwar den einen oder anderen zusätzlichen Hördurchlauf erfordern, doch das lohnt sich allemal.
Cicatrix
VÖ: 11.05.2018
Arctic Rodeo Recordings (Broken Silence)
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