Jamie Lenman – Devolver
Mit ihrem hibbeligen und doch eingängigen Post-Hardcore-Sound ging der Stern der Briten Reuben in den Nuller-Jahren blitzschnell auf, verglühte nach drei Alben allerdings viel zu schnell wieder. Frontmann Jamie Lenman, eine Follikel-optimierte Urgewalt in Hosenträgern, macht seither solo weiter und trat 2013 erstmals mit einem Doppelalbum – teils bluesiger Thrash, teils Folk – in Erscheinung. Auf „Devolver“ nähert er sich nun wieder seinen wüsten Wurzeln an, betont jedoch ebenso den experimentellen Aspekt seines Schaffens.
Eine Westentaschen-Monstrosität wie die Single „Hell In A Fast Car“ steht durchaus stellvertretend für das Album, oder zumindest eine Facette davon. In knapp dreieinhalb rifflastigen, bissigen Minuten tankt sich Lenman durch seine musikalischen Wurzeln, angereichert mit dicken Rock-Salven und einem herrlich wütenden, mehrteiligen Refrain, der trotz aller Bissigkeit unheimlich ins Ohr geht. Das herrlich wilde, dissonante „Waterloo Teeth“ und das verschmitzt betitelte, etwas langsamer anrollende „All Of England Is My City“ schlagen in eine ähnliche Kerbe.
Es geht aber natürlich auch anders, wie im Stop-and-Go-Experiment „Body Popping“ mit butterweichen Vocals und eingestreutem Sperrfeuer oder der tanzbaren, elektronisch untermalten Anti-Pop-Grenzerfahrung „I Don’t Know Anything“. Der verschrobene, beateske Opener „Hardbeat“ erinnert in seiner ausladenden und doch pointierten Präsentation ein wenig an Nine Inch Nails, was wiederum gut passt, schließlich singt Lenman gelegentlich wie Trent Reznor selbst. Der abschließende Titelsong verdingt sich hingegen als epische, ausladende Power-Ballade mit konstanten Steigerungen und mehreren kleinen Explosionen – unerwartet harmonisch und doch so bärenstark.
Geschickt führt „Devolver“ sämtliche Erwartungen ad absurdum, obwohl der Zweitling deutlich mehr von Jamie Lenmans musikalischer DNA in sich trägt. Zwischen eingängigen Monstern, bärbeißigen Wutproben und elektronisch-beatesker Sinnsuche entsteht ein Album ohne wirkliche Schwachstelle, getragen von einem bestens aufgelegten Sänger und Songwriter. „Devolver“ entpuppt sich als fantastischer musikalischer Leckerbissen zwischen den Stühlen, aber dafür stets auf den Punkt serviert – eines der stärksten alternativen Rock- und Post-Something-Alben des Jahres.
Devolver
VÖ: 27.10.2017
Big Scary Monsters (AL!VE)
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