Arcade Fire – Everything Now
Stolze 13 Jahre nach ihrem Debütalbum erfinden sich Arcade Fire ein weiteres Mal neu. Ihre durchaus schroffen, energischen Indie-Wurzeln rücken mehr und mehr in den Hintergrund und werden durch manische Grandezza ersetzt. Auf das überbordende Doppel-Album „The Reflektor“ folgt nun „Everything Now“, eine Neon-Pop-Vision mit abgründigen Lyrics, elektronisch geschwängerten Experimenten und, unter anderem, Thomas Bangalter (Daft Punk) an den Reglern. Klingt komisch, ist es auch.
Der Titeltrack – zu Albumbeginn und -ende mit Reprisen gesegnet – fasst den neuen, noch eine Spur ungewöhnlicheren Sound der Kanadier wohl am besten zusammen. ABBA lassen unter anderem grüßen, wenn der leicht Disco-taugliche Fünfminüter vom Stapel läuft. So sehr Win Butler anfangs auch säuselt, hinter der Technicolor-Fassade lauern tiefe Abgründe und menschliche Katastrophen, welche diese letztlich doch überaus gelungene Single prägen. Was für den Titelsong gilt, trifft auch auf weite Teile des Albums zu: Verwirrt anfangs gewaltig, entpuppt sich als Grower und wächst mit jedem Durchlauf.
Case and point „Creature Comfort“. Begleitet von Synthi-Sperrfeuer und einem Hauch von Dream-Pop, geben sich Schein und Sein ein Stelldichein. ‚God, make me famous! If you can’t, just make it painless.‘ – ein feinsinniger und doch lebhafter Seitenhieb auf die Fame- und Konsumgesellschaft. Richtung Ende der Platte packen Arcade Fire ein paar ruhigere Momente aus, wie das lebhafte und doch fragile „Put Your Money On Me“ oder das konstant wachsende „We Don’t Deserve Love“. Dass dafür der Mittelteil, angefangen beim bizarren Dub-Experiment „Peter Pan“, etwas durchhängt, passt ins Bild. Der belanglose French-Disco-Rocker „Good God Damn“ hätte gerne auf der Resterampe landen dürfen.
Licht und Schatten wechseln sich auf der neuen Platte der Kanadier ab. Bärenstarke Anfangsphase, weitestgehend schlapper Mittelteil, emotional aufwühlendes Finale – die qualitative Schere klafft überraschend weit auseinander, und doch ist „Everything Now“ letztlich eine gute bis sehr gute Platte geworden. Warum? Weil die Hits alles überragen (gerade das hibbelige „Signs Of Life“ darf nicht unter den Tisch fallen), die schwächelnde Mitte mit dem Doppelpack „Infinite Content“ / „Infinite_Content“ dennoch gute Momente hat, und der Stilbruch, so sehr er sich auch angedeutet hat, letztlich funktioniert. Und doch ist dies, streng genommen, die bislang schwächste Arcade Fire-Platte, wenngleich man sich nach wie vor auf hohem Niveau bewegt. Vielleicht wollten die Kanadier zu viel. Einige Überflieger bestätigen ihren Weg, mit Abstrichen, dennoch.
Everything Now
VÖ: 28.07.2017
Columbia Records (Sony Music)
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