Saint Etienne – Home Counties
Die Regionen rund um London im Südwesten Englands, auch „Home Counties“ genannt, sollten ursprünglich wohlhabende, naturnahe, durchaus pittoreske Landstriche sein. Politische Wunschvorstellungen hin oder her, die sprichwörtliche Schere zwischen Essex und Sussex, Buckinghamshire und Kent geht weit auseinander. Wie viele andere Einwohner verbinden auch Saint Etienne eine gewisse Hassliebe mit ihrer Heimatregion. Nun haben sie ihr sogar ein musikalisches Denkmal gesetzt.
16 Songs und drei Interludes widmen sich einem Tag in die Home Counties, der von szenischer Idylle ebenso geprägt ist wie von skurrilen Gestalten. Musikalische Überraschungen bleiben hingegen aus; es setzt stilvollen Indie Pop mit butterweicher Elektronik und einem Hauch von Sommer. Meist funktioniert das recht gut, bei 56 Minuten Spielzeit ist aber auch schon mal ein wenig Verschnitt dabei. Aber der Reihe nach: „Something New“ macht sich chic als gemütlicher Aufgalopp – locker, leicht, durchaus frühlingshaft und sympathisch. Die folgende Single „Magpie Eyes“ zählt zu den kleinen Hits der Platte. Von gewohntem Understatement begleitet, lassen Saint Etienne einen mit herrlich angeschlagenem Bass ausgestatteten Ohrwurm vom Stapel.
In weiterer Folge wechseln Licht und Schatten einander ab. „Heather“, der andere Vorbote, wirkt schroff und hibbelig, bricht ein wenig mit gängigen Songstrukturen und will erst schöngehört werden. Das beinahe acht Minuten lange Instrumentalstück „Sweet Arcadia“ blubbert ziellos vor sich hin und ernüchtert, nur um vom verführerischen, stellenweise durchaus jazzigen „Dive“ mit dezenter Northern-Soul-Schlagseite und ein wenig Brass-Dance abgelöst zu werden. Der Synthi-Popper „Out Of My Mind“ erinnert hingegen an die letzten beiden Platten der Briten – nett, aber etwas zu formlos.
Zugegeben, „Home Counties“ lässt die letzte große musikalische Explosion vermissen. Ohrwürmer haben Saint Etienne reihenweise am Start, ihr Album zugleich aber eine Spur zu lang ausfallen lassen. Ein wenig Mittelmaß hier, ein paar Hörspiel-Elemente da – immerhin tritt der schmerzlich vermisste Terry Wogan zwischendurch auf den Plan. Die Briten sind auch 27 Jahre nach Gründung nach wie vor relevant und feuern so manchen starken Moment ab. Weniger wäre ausnahmsweise mehr gewesen, und doch warten hier nach wie vor neun bis zehn durchaus herausragende Frühlings- und Sommersongs zum Gernehören.
Home Counties
VÖ: 02.06.2017
Heavenly Recordings / PIAS (Rough Trade)
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