Marc O’Reilly – Morality Mortality
Als studierter Arzt kommt man in der Regel nicht unbedingt auf die Idee, das Stethoskop gegen eine Gitarre einzutauschen. Für den irischen Singer/Songwriter Marc O’Reilly lag diese Entscheidung aber offenkundig auf der Hand. Nach zwei in Eigenregie veröffentlichten, gefeierten Alben und der einen oder anderen Single mit dem Electro-Projekt R, das er gemeinsam mit seinem Bruder Pierre unterhält, ist O’Reilly nun bei einem Major-Label untergekommen. „Morality Mortality“ bricht auf sympathische Weise mit dem gängigen Genre-Sound und legt jegliche Scheuklappen lässig ab.
Gekonnt bewegt sich O’Reilly zwischen so vielen Stühlen, dass einem direkt schwindelig wird. Für die erste Single „Of Nothing“ mischt er sachte Folk-Gehversuche mit einem Hauch Bon Iver und irischer Melancholie. „Generica“ klingt wie Alex Clare, wenn sich dieser von Post-Dubstep-Klängen abwenden würde. Der bluesige, hibbelige Drive bekommt diesem herrlich getriebenen, beinahe aggressiven Song recht gut, wobei die Vocals zunächst sogar eine Spur zu leichtfüßig anmuten. Mit ein wenig Zeit und Geduld ergibt der kuriose Mix dennoch Sinn und sorgt für einen der besten Songs dieses Albums.
Für „Blinded By“ lässt der Ire Bandsound zu, der schon mal an Dire Straits erinnert und förmlich nach einem bunten MTV-Video schreit. Der dezent funkige Twang im ansonsten trocken gerockten Song hat ebenso Charme wie das verletzlich-introvertierte „Do They Know“ mit besonders viel Folk und Emotion. Je länger das Album dauert, desto ruhiger werden die Tracks. Gerade „Three & One“ und „Secret“ profitieren von betontem Minimalismus, gerade weil das vorhergehende „Simian Times“ stellenweise ungemein laut und bedrohlich, überlebensgroß aufgebaut wurde.
Etwas wahnsinnig ist er ja schon, der irische Doktor. „Morality Mortality“ will sich in keine Schublade zwängen lassen und tut gut daran, sich lässig im stilistischen Nirgendwo zu platzieren. Minimalistischer Singer/Songwriter-Chic unterhält ebenso wie ungewohnt großspurige Rock- und Blues-Noten mit konstruierter Retro-Note. Marc O’Reilly nimmt alles mit, was ihm in den Weg kommt, und sorgt somit für eine herrlich weitgefasste, kurzweilige Punktlandung ganz ohne dezent befürchtete Major-Weichspülung.
Morality Mortality
VÖ: 28.10.2016
Virgin Records (Universal Music)
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