ASP – Verfallen, Folge 1: Astoria
Wenn eine Band seit Anbeginn ihres Schaffens den Status des Außergewöhnlichen inne hat, muss sie sich schon eine Menge einfallen lassen, um auch nach Jahren für Überraschungen zu sorgen. Dieses Problem hat auch die Frankfurter Band ASP, die mit ihre ersten fünf Alben umfassenden „Der schwarze Schmetterling“-Zyklus das Untergenre Gothic Novel Rock geschaffen hat. Düstere, atmosphärische Musik mit albenübergreifenden textlichem Konzept, mit dieser Masche wissen ASP nun schon seit 2000 zu überzeugen. Zuletzt machte die Truppe um Bandkopf Alexander Frank Spreng mit einem weiteren, bisher aus zwei Alben bestehenden Zyklus namens „Fremder“ auf sich aufmerksam. Ihr neues Album „Verfallen, Folge 1: Astoria“ toppt aber tatsächlich alles, was es bisher aus dem Hause ASP zu hören gab. Dieses Mal ist es der Band nämlich gelungen, ihre düsteren Klänge mit der Kurzgeschichte eines Star-Autors zu verknüpfen.
Die dem zweiteiligen „Verfallen“-Epos zugrunde liegende, im üppig ausgestatteten Booklet abgedruckte Story mit dem Namen „Das Fleisch der Vielen“ stammt aus der Feder des Fantasy-Autors Kai Meyer, bekannt u.a. für die Wellenläufer-Trilogie und die Wolkenvolk-Trilogie. Im Zentrum der Geschichte stehen unheimliche Geschehnisse im einst als Zentrum des Leipziger Nachtlebens geltenden, allerdings seit Jahrzehnten leer stehenden Hotel Astoria. Spannend dabei ist, dass ASP nicht einfach diese Geschichte vertont haben, sondern eine eigene erdacht haben, die lediglich an das Werk von Herrn Meyer angelehnt ist, den Hörer jedoch zurück ins Jahr 1919 führt, während sich die Originalgeschichte im heutigen Leipzig zuträgt. Von Song zu Song wird die Geschichte dabei weitergesponnen und zunehmend düsterer und mysteriöser, aber auch immer intensiver.
So wird im atmosphärisch-rockigen Opener „Himmel und Hölle (Kreuzweg)“ erst einmal der Protagonist der Geschichte eingeführt, ehe selbiger im zweiten Song „Mach’s gut, Berlin!“, einer melancholischen Halbballade, die alte Heimat Berlin verlassen möchte. Im folgenden, etwas auf alt gemachten Song „Zwischentöne: Ich nenne mich Paul“ tritt er die Reise gen Leipzig tatsächlich an, in der regelrecht fröhlich-beschwingten Ballade „Zwischentöne: Baukörper“ erreicht er sein Ziel, das Hotel Astoria, schließlich. ASP-typisch düster fällt der Gothic Rock-Titel „Begeistert (ich bin unsichtbar)“ aus, bevor mit „Zwischentöne: Lift“ – passend für den zeitlichen Rahmen der Story – ins Tango-Genre gewechselt – ein gelungenes musikalisches Experiment. Da die Geschichte danach zunehmend in dunklere Gefilde abdriftet, bewegt sich ab „Astoria verfallen“ auch die Musik in gewöhnlicheren, aber trotz allem überzeugenden Bahnen. Auch „Souvenir, Souvenir“ und „Loreley“ sind finstere ASP-Granaten allererster Güte, während die traurige Ballade „Alles, nur das nicht“ bereits andeutet, dass die Geschichte durchaus auch ein negatives Ende nehmen könnte. Jenes Ende wird den Hörer aber erst beim zweiten Teil der Geschichte erwarten, denn „Verfallen, Folge 1: Astoria“ endet offen mit dem rockigen „Fortsetzung folgt… 1“.
„Verfallen, Folge 1: Astoria“ ist tatsächlich ein Meisterwerk aus einem Guss und ist als Ganzes gesehen tatsächlich über jeden Zweifel erhaben. Betrachtet man das Album allerdings im Song für Song-Modus, fällt leider auf, dass sich auch der eine oder andere schwächere Titel eingeschlichen hat. Das fast schon doomige, musikalisch ziemlich anstrengende „Dro[eh]nen aus dem rostigen Kellerherzen“ etwa oder auch das bereits erwähnte „Fortsetzung folgt… 1“ sind musikalisch eher durchschnittlich und nur dann nicht als Ausfall zu bezeichnen, wenn man sie im Gesamtkontext der Story betrachtet. Doch trotz dieses Makels ist das neue musikalisch-literarische Komplettpaket wirklich allen ans Herz zu legen, die tief eintauchen wollen in eine Geschichte und diese in all ihren Facetten begreifen und aus mehreren Blickwinkeln betrachten möchten. Mit anderen Worten: Pflichtkauf für alle literarisch interessierten Gothic-Fans, diese sollten auch auf keinen Fall den zweiten Teil verpassen!
Verfallen, Folge 1: Astoria
VÖ: 16.10.2015
Trisol Music Group (Soulfood Music)
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