Interpol – El Pintor
Mit Spannung wurde das erste Interpol-Album nach dem Ausstieg von Bassist und Leitfigur Carlos Dengler erwartet. Ob es diese Platte überhaupt geben würde, das wussten die drei verbliebenen Mitglieder selbst einige Zeit nicht, und widmeten sich erst einmal Neben- bzw. Soloprojekten. Als man sich schließlich wieder im Studio einfand, schnallte sich Sänger Paul Banks den Viersaiter um und löste den entstandenen Engpass personell wie kreativ. „El Pintor“, das ist nicht nur spanisch für „der Maler“, es ist außerdem ein Anagramm des Bandnamens und zugleich Sammlung der lichtesten Momente im stilisierten Nebel, der seit zwölf Jahren das Land verhüllt.
Auf den Zweiakter mit experimenteller Energie folgt eine deutlich direktere, ‚typischere‘ Platte. Gewisse Freundlichkeit, Ansätze von Sonnenstrahlen gab es bereits auf dem letzten Album zu hören, doch „El Pintor“ kehrt diese deutlicher hervor und erklärt sie endgültig zum sinnbildenden Stilmittel. „All The Rage Back Home“ lebt von dieser neuen Energie. Daniel Kessler schrieb den Track, als er von einem Balkon aus auf Buenos Aires blickte. Die treibenden Strophen, der köchelnde Refrain – eine bestens bekannte, etablierte Herangehensweise, die durch freundlich flirrende Gitarren und „hey hey hey hey“-Rufe in ein neues Licht gerückt wird.
Die Suche nach einem noch typischeren Interpol-Track führt zu „My Desire“, einem fünf Minuten langen Monster, dessen Chorus mehrfach explodiert, immer und immer wieder, selbst Banks‘ bizarres Falsett mitnimmt und für kurze Phasen gar den Post-Punk-Drive des Debüts in sich aufnimmt. In punkto Dringlichkeit ist „Breaker 1“ so etwas wie der kleine Bruder dieses Verlangens. Post-gothische Elemente treffen auf fiesen, treibenden Rock und ungewohnt präsente, harte Gitarren. Zwischendurch arbeiten sich Interpol an Denglers Abgang ab (der herzzerreißende Rausschmeißer „Twice As Hard“) und schippern über verstörende 80s-Wellen („Same Town, New Story“).
Auf „El Pintor“ entdecken Interpol ihre eigene Sterblichkeit wieder, wagen sich ein wenig in Richtung Anfangstage und blicken doch – ungewohnt gut gelaunt – voraus. Ihr Image als schwermütige Men in Black kultivieren sie gewohnt geschickt, stellenweise gar selbstironisch. Carlos Dengler vermutet man zu keiner Zeit, das ist die größte Überraschung dieses fünften Studioalbums. Interpol schütteln die Ungewissheit der letzten Jahre weitestgehend ab und melden sich mit einer gewohnt starken, durchaus verschmitzten Platte zurück, auf der sie als Einheit zusammenrücken – ein Segen.
El Pintor
VÖ: 05.09.2014
Soft Limit / [PIAS] Cooperative (Rough Trade)
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