Derek Sherinian – Armoury Re-Releases
Es mag nicht unbedingt der bekannteste Name der (progressiven) Rockszene sein, und doch scheint Derek Sherinian omnipräsent. Von 1994 bis 1999 war er Keyboarder bei Dream Theater, war Teil von Planet X und Black Country Communion, und spielte mit so klangvollen Namen wie Alice Cooper, Kiss und Billy Idol. Ganz nebenbei blickt der US-Amerikaner armenischer Abstammung auf eine durchaus erfolgreiche Solokarrierezurück, die bislang sieben Studioalben abwarf. Die fünf Platten der Armoury-Ära, konkret Album 2-6, erscheinen nun neu mit erweiterten Liner Notes. Grund genug, sich das Schaffen des Tasten-Hexers zu vergegenwärtigen.
Den Auftakt macht „Inertia“ aus dem Jahr 2001, eingespielt mit so illustren Gästen wie Toto-Gitarrist Steve Lukather, der durch Ozzy und Black Label Society bekannte Zakk Wylde, Bass-Hexer Tony Franklin und Schlagzeug-Legende Simon Phillips. Einige dieser Kollaborationen sollten über mehrere Alben bestehen bleiben. Natürlich steht das Keyboard im Mittelpunkt, wohl aber nicht aufdringlich und keineswegs zu Lasten der Mitstreiter. Schräge Freejazz-Anleihen Marke „Goodbye Pork Pie Hat“ bilden die Ausnahme, es geht weitestgehend geradlinig und proggig vor sich mit Highlights wie „La Pera Loca“, dem mit eigenen Intro versehenen Schlusspunkt „Rhapsody In Black“ und „Mata Hari“, einem Hybrid zwischen Ambient / World Music und komplexem Rock.
–> Stream „Inertia“ einblenden <–
„Black Utopia“ (2003) beginnt um ein Vielfaches schroffer und ungeschliffener mit dem Monster „The Sons Of Anu“. Unverkennbar hier die Handschrift von Yngwie Malmsteen, der sich auf „Axis Of Evil“ ein begeisterndes Gitarrenduell mit Wylde liefert. Nicht nur aufgrund dieser beiden Songs fällt dieses Album deutlich härter, geradezu metallisch aus. Bass-Gigant Billy Sheehan komplettiert das Dreamteam in letzterem Song, der zwischen verhaltenen, nachdenklichen Passagen und Monster-Mosh-Parts pendelt. Gelegentliche ruhige, versöhnliche Momente mit singender Gitarre runden das Geschehen ab. „Sweet Lament“ hätte als Vocal-Version durchaus Rock-Radio-Potential, in „Stony Days“ schlummert der AOR-Gigantismus des Vorgängers.
–> Stream „Black Utopia“ einblenden <–
Nur ein Jahr später überraschte „Mythology“ mit seiner Bandbreite, gipfelnd im Flamenco-Jam „El Flamingo Suave“ – gewiss eine Art Song, die man mögen muss, durch die darauf folgende Prog-Ballade „Goin‘ To Church“ das Oddity-Herzstück dieser Platte bildend. Erstmals sind Vocals auf einem Sherinian-Album zu hören. Zakk Wylde trägt einige Zeilen zum abschließenden „The River Song“ bei. Das Ergebnis klingt angenehm bluesig und doch hart, erinnert nicht nur aufgrund der charakteristischen Stimme an Black Label Society. Zu den übrigen Gästen zählen Jazz-Fusion-Experte Allan Holdsworth und Violinist Jerry Goodman (beide prominent im monumentalen, stellenweise knüppelharten Opener „Day Of The Dead“ vertreten) sowie Grammy-Gewinner und Billy Idol-Gitarrist Steve Stevens.
–> Stream „Mythology“ einblenden <–
Vocals waren nun also gestattet, wurden jedoch selten eingesetzt. Auf „Blood Of The Snake“ (2006) war dies immerhin zwei Mal der Fall. Neben dem mittlerweile etatmäßigen Zakk Wylde-Track – der monströse, dennoch vergleichsweise unspektakuläre Metal-Basher „Man With No Name“ – tritt für eine Cover-Version von „In The Summertime“ Billy Idol ans Mikrophon, an der Gitarre von Slash unterstützt. Kann man machen, muss man aber nicht. Dafür stattete Ex-Dream Theater-Kollege John Petrucci Sherinian auf „Czar Of Steel“ einen Besuch ab und auch Yngwie Malmsteen war wieder mit an Bord. Es war dies eine der härteren und zugleich abwechslungsreicheren Platte Sherinians, auf der Brandon Fields‘ Saxophon in „Phantom Shuffle“ wunderbar neben dem opulenten „The Monsoon“ und der Oud von Dimitris Mahlis funktionierte.
–> Stream „Blood Of The Snake“ einblenden <–
Der Abschluss dieser Reihe, das aus dem Jahr 2009 stammende „Molecular Heinosity“, wirkt angesichts seiner Gästeliste beinahe unspektakulär. Natürlich ist Wylde wieder am Start. „Wings Of Insanity“ steigert sich in beinahe Thrash-artige Geschwindigkeitsbereiche, während mit „So Far Gone“ der obligatorische Vocal-Track zum Schluss nachgereicht wird – pompös, monumental, erst mit dem Einsetzen der Led Zeppelin-Keyboards richtig spannend. Dafür ist Schlagzeuger Virgil Donati auf den ersten drei Tracks zu hören. Er war es, der auf Sherinians Solo-Debüt „Planet X“ den Taktstock schwang, nur um mit ihm im Anschluss die gleichnamige, gemeinsame Band zu gründen. Die Songs fallen insgesamt deutlich schneller und verspielter als auf dem Vorgänger auf, gerade das vielseitige „Frozen By Fire“ mit seinen scheinbar spontanen Tempowechseln begeistert.
–> Stream „Molecular Heinosity“ einblenden <–
Prog-Fans, die diese fünf Alben bislang noch nicht ihr Eigen nennen durften, sollten bei diesen Neuauflagen zugreifen. Bonus-Material gibt es nicht, die Liner-Notes sind äußert lesenswert und schildern die Aufnahmen aus verschiedenen Blickwinkeln. Über die Musik muss man nicht viel mehr sagen, die von Derek Sherinian demonstrierte Bandbreite weiß auf voller Länge zu beeindrucken. Dass das erste und bis dato letzte Album ebenfalls absolute Empfehlungen sind – geschenkt. Besser, proggiger kann das Jahr nicht beginnen.