Stromae – Racine carrée
Vier Jahre sind im Musikbusiness eine lange Zeit. Für jemanden, der in Deutschland bislang nur einen großen Hit hatte, ist das mitunter zu viel, um dem ersten Streich einen zweiten folgen zu lassen. Anders mag das beim Belgier Paul Van Haver sein. Ebendieser 28-jährige Brüsseler landete 2009 unter dem Künstlernamen Stromae mit dem Song „Alors on danse“ einen europaweiten Hit. Vier Jahre später – im Mai 2013 – veröffentlichte er mit „Papaoutai“ und „Formidable“ die ersten Vorboten seines mittlerweile erschienen Zweitlingswerk „Racine carrée“ und sicherte sich in seiner Heimat eine mehrwöchige Doppelführung in den Singlecharts. Pünktlich zum Album-Release ist auch in Deutschland die Lead-Single „Papaoutai“ in den Top 100 auf dem Vormarsch.
Der Opener „Ta fête“ gibt die Marschrichtung für den Großteil des Albums vor. Eine treibende, nicht zu wuchtige Melodie wird von Stromaes Sprechgesang begleitet. Richtig Wumms gewinnt das Instrumental im Chorus, in dem Van Haver dem Hörer versichert, dass dieser während der Spielzeit des Albums noch anfangen wird zu tanzen („T’inquiète pas, tu vas danser“). Dieses Versprechen löst der Belgier postwendend ein. Mit „Papaoutai“ folgt einer der tanzbarsten Songs des Albums. Das smoothe Piano-Intro vermag nur wenige Sekunden den Schein aufrecht zu erhalten, dass eine gemächliche Nummer folgt. Von Vers zu Vers gewinnt der Song mehr an Fahrt, wird aber erst kurz vor dem Refrain mit einem markanten Beat und einem äußerst elektronischen Instrumental versehen. Lediglich die gefühlsgeladenen Raps in der zweiten Strophe und der emotional gesungene Mittelteil lassen erahnen, dass sich hinter der tanzbaren Fassade ein äußerst gesellschaftskritischer Text verbirgt. Gleiches Spiel bei „Bâtard“. Eine äußerst eingängige und tanzbare Elektro-Produktion trifft auf ernste Lyrics und eine leidenschaftliche Interpretation, in deren Verlauf sich Stromae in Rage zu rappen scheint, ohne jedoch wirkungsvolle Wortspiele auszulassen („Monsieur n’est même pas raciste, vu que Monsieur n’a pas de racines“). Beeindruckend ist die Leichtigkeit, mit der Van Haver schwierige Themen, wie die Unterdrückung von Minderheiten, in ein charttaugliches Format zu verpacken vermag.
Eine andere Seite zeigt der Belgier mit ruandischen Wurzeln in Songs wie „Tous les mêmes“ oder „Ave Cesaria“. Hier weichen die elektronischen Elemente größtenteils einem Orchester. Der lateinamerikanische Sound dieser Songs ist erdig, das Tempo etwas langsamer, das Ergebnis aber nicht minder eingängig. Stromae versteht es bestens, traditionelle Instrumente, wie Mundharmonikas, mit modernen Beats zu kombinieren. Weitaus weniger massenkompatibel zeigt sich das phasenweise an New Beat angelehnte „Humain à l’eau“: kantiger Sprechgesang vor einer dubbigen Melodie, angereichert mit verzerrten Stimmen und einer harten, wenn auch spartanisch angelegten Hook. Ein Kontrastprogramm hierzu bietet das sich in TripHop-Gefilden bewegende „Quand c’est ?“.
Wer Paul Van Havers zweites Studioalbum komplett durchhört, der erlebt eine Reise durch eine Vielzahl verschiedener Musikgenres, von denen einige erst gar nicht zu definieren sind. Stromae zeigt auf „Racine carrée“ eine beeindruckende Bandbreite seines Schaffens der letzten Jahre und beweist zudem, dass Musikgenres nahezu ohne weiteres miteinander kombinierbar sind. Trotz der unterschiedlichen Ausrichtung der einzelnen Songs wirkt keiner der Titel aufgesetzt oder unecht. Schließlich hat der 28-jährige Belgier jeden Text selbst geschrieben und produziert. Der Trend in Belgien lässt erahnen, dass Stromae auch in Deutschland den Erfolg seiner Debüt-Platte zumindest bestätigen können wird.
Racine carrée
VÖ: 16.08.2013
B1 Recordings (Universal)
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