ZZ Top – The Complete Studio Albums 1970-1990 (Teil 1)
Ob als gestandene Rock’n’Roll-Band, Blues-Liebhaber, Stoner-Vorboten oder 80s-Granden – der Ruf des texanischen Trios ZZ Top wuchs mit den Jahren. Hinter zwei mächtigen Bärten und einem Beard versteckt sich unheimlich viel Geschichte, die nun aufgearbeitet wird. „The Complete Studio Albums 1970-1990“ präsentiert die ersten zehn Alben des Trios in einer stabilen Clamshell-Box zum günstigen Preis (ca. 30 Euro), komplett mit Pappschubern, die dem jeweiligen Original-Artwork entsprechen und entsprechend im Fall von „Tres Hombres“ und „Tejas“ gar mit Klappcovern ausgestattet wurden. Noch schöner: Man verzichtete auf die kontroversen, blutleeren 80s-Mixes und rekonstrurierte die Original-Audio-Tape-Versionen; „ZZ Top’s First Album“, „Rio Grande Mud“ und „Tejas“ sind sogar erstmals in dieser Form erhältlich. Im ersten von zwei Teilen werden die Ursprungsjahre der Texaner beleuchtet.
ZZ Top’s First Album (1971)
ZZ Top begannen ihre Karriere als smarte Blues Rock-Band. Zwar entschied man sich gegen die 1970 typische Nummerierung (man denke beispielsweise an Led Zeppelin), mit „ZZ Top’s First Album“ wurde dennoch eine simple, dennoch einleuchtende Bezeichnung gefunden. Der Opener „(Somebody Else Been) Shaking Your Tree“ legte den Grundstein zum Sound des Trio: Blues, Rock’n’Roll, ein wenig Seele für Kopf und Beine. Wer es bluesig mag, findet sich in – nomen est omen – „Certified Blues“ und dem ausladend gestalteten „Brown Sugar“ sicher geboren. Gerade Billy Gibbons‘ ausgedehntes Gitarrensolo ist mehr als vier Jahrzehnte nach Original-Veröffentlichung immer noch ein Highlight. „ZZ Top’s First Album“ sollte die einzige Platte der Texaner bleiben, der ein Einstieg die Top 200 der US-amerikanischen Album-Charts verwährt blieb, mit „Goin‘ Down To Mexico“ und „Neighbor, Neighbor“ dafür zwei von vielen attraktiven Tracks im Gepäck hatte, die vieles von dem, was in den nächsten Jahren folgen würde, vorausnahmen.
Rio Grande Mud (1972)
Der große kommerzielle Wurf gelang zwar auch mit „Rio Grande Mud“ nicht, man hatte dafür den ersten kleinen Single-Erfolg am Start. Das von Dusty Hill gesungene „Francine“ schaffte es in den USA in die Top 50 – ein sympathischer, stark simplifizierter Rock’n’Roll-Standard, der die Brücke zum Debüt schlägt. Wesentlich spannender ist jedoch, was sich dahinter abspielt: „Just Got Paid“, ein launischer Song-Bastard, reduziert auf die Essenz jener Coolness, die die großen Erfolge der Texaner vorausnehmen sollte. Gibbons‘ Page-Gedächtnis-Slide-Solo funktioniert auch heute noch. An „Sure Got Cold After The Rain Fell“, einer mehr als sieben Minuten langen Quasi-Ballade, scheiden sich die Geister. ZZ Top sind eben dann besser, wenn sie auf den Punkt kommen; siehe beispielsweise das schwüle „Mushmouth Shoutin'“, den Stoner-Vorboten „Whiskey’n Mama“ und den grandiosen Rocker „Bar-B-Q“, der nach dem erstaunlich blutleeren Instrumental „Apologies To Pearly“ dem Album den nötigen Restart verpasst. Der verfeinerte, druckvollere Sound mag die eine Sache sein, der eine oder andere Stinker lässt sich jedoch auch aus heutigen Gesichtspunkten kaum beschönigen.
Tres Hombres (1973)
Was also tun, wenn die Erwartungen nicht so recht erfüllt worden sind? Richtig, man haut einen Klassiker raus. „Tres Hombres“ (dt. „drei Männer“) brachte ZZ Top den verdienten Durchbruch, erreichte die US-Top 10 und wurde vom Rolling Stone unter die besten 500 Alben aller Zeiten gewählt. Automatisch denkt man in diesem Zusammenhang an „La Grange“, einer der besten Riff-Rocker der Band-Geschichte. Die Hommage an John Lee Hooker zelebriert exzessiv einen Boogie-Standard und arbeitet den klassischen Bandsound einmal mehr hervor. Dabei fängt die Platte bereits stark an, was keinesfalls vergessen werden darf. Das schwülstige „Waitin‘ For The Bus“ und der durchtriebene Blueser „Jesus Just Left Chicago“ gehen nahtlos ineinander über, wirken wie ein einziges großes Festmahl musikalischer Natur. „Have You Heard?“ lässt schwere Gitarren neben rührseligen Gesangsharmonien stehen und hat damit beinahe so etwas wie Pop-Appeal, während das schmissige, beinahe aggressive „Beer Drinks & Hell Raisers“ in keiner Rocker-Kneipe fehlen darf. ZZ Top waren endlich angekommen.
Fandango! (1975)
Ist „Fandango!“ nun ein Studio-Album oder eine Live-Platte? Tatsächlich ist die Zusammenstellung des vierten ZZ Top-Longplayers eine ungewöhnliche Angelegenheit. Die A-Seite besteht aus drei Live-Aufnahmen, aufgezeichnet in The Warehouse in New Orleans im Rahmen einer gemeinsamen Tour mit den Allman Brothers. Ein rechtliches Nachspiel brachte der Opener „Thunderbird“ nach sich, im Original von The Nightcaps, die dafür jedoch nie Copyright beanspruchten. ZZ Top nahmen den Song 1975 in ihr Live-Programm auf und beantragten erfolgreich Copyright, weswegen eine Klage der eigentlichen Urheber scheiterte. Zusammen mit einer fetzigen, dezent entstellten Version von „Jailhouse Rock“ gelingt der Auftakt, bevor sich die Musiker im knapp zehn Minuten langen „Backdoor Medley“ – unter anderem mit einer Interpretation von Willie Dixons „Mellow Down Easy“ – verlieren. Die B-Seite besteht aus brandneuen Studio-Aufnahmen, die nahtlos an die Vorgängerplatten anknüpfen. Mit dem einmal mehr riffgesteuerten Rausschmeißer „Tush“ hat man einen echten Hit im Gepäck, fast noch interessanter ist jedoch das smoothe „Mexican Blackbird“, ein für ZZ Top urtypischer Boogie-Blueser. Man nimmt sogar das etwas blasse „Blue Jean Blues“ mit. Insgesamt fehlen den Eigenkompositionen die Power von „Tres Hombres“, Schönheiten entdeckt man dennoch genügend.
Tejas (1976)
Deutlich strukturierter und geordneter gingen ZZ Top 1976 zu Werk, als sie mit „Tejas“ ihren überschäumenden Mix aus Rock’n’Roll, Blues und Boogie in geregelte Bahnen rücken wollten. Dass dieser Vorgang kein einfacher war, zeigt die Platte auch heute noch. Was fehlte, waren große Songs, auch wenn sich so mancher Track eingeprägt hat. „Pan Am Highway Blues“ kommt schnörkellos auf den Punkt und zeigt die neu entdeckte Liebe zu Country-Klängen. Der Opener „It’s Only Love“ lässt ähnliche Anleihen mitschwingen, wird aber einzig von einem weiteren ausladenden Gibbons-Solo von der Anonymität gerettet. Obskure Klang-Experimente wie der Wah-Wah-Ausflug „Snappy Kakkie“ oder das – leider erneut – blutleere Instrumental „Asleep In The Desert“ treiben dem geneigten Fan Tränen der Wut in die Augen. Dann doch lieber „El Diablo“, das sich in einem sehr seltsamen Jam-Mittelteil verliert, dafür mit Frank Beards durchaus ansprechendem Doublebass-Spiel einen kleinen Lichtblick bietet. „Enjoy And Get It On“ kann als patenter Rocker die schiefe Optik nur bedingt korrigieren. „Tejas“ ist und bleibt ein Übergangsalbum mit guten Ideen, jedoch ohne die letzte Konsequenz.
Mit ihren ersten fünf, in dieser Variante endlich sauber klingenden Alben legten ZZ Top nicht nur den Grundstein für ihre Karriere, sie deuteten auch an, warum sie in den 80ern zu MTV-Ikonen werden sollten. Die Klasse von „Tres Hombres“ sollten sie jedoch nie wieder erreichen, „Tejas“ ist dafür gerade ob seiner Experimente eine interessante Zeitreise, deutet die DNA von „Legs“ von Konsorten zumindest an. Der Eintritt in den Mainstream wird im zweiten Teil dieser Serie beleuchtet.
The Complete Studio Albums 1970-1990
VÖ: 07.06.2013
Warner Bros. Records (Warner Music)
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