Lockerbie – Ólgusjór
So kunterbunt die isländische Musikszene auch ist, man denkt automatisch an Sigur Rós, wenn man von einer neuen Band vom Inselstaat hört. Im Fall von Lockerbie ist dies auch durchaus gerechtfertigt, denn das Quartett um den auch solo erfolgreichen Jónsi zählt zu den erklärten Vorbildern der Mannen aus Hafnarfjörður und Reykjavík, die sich 2008 fanden und nach zwei Demos ein Jahr später eigentlich schon auflösen wollten. Als Keyboarder Davíð Arnar Sigurðsson von einem Songcontest einer isländischen Radiostation hörte, schickte er prompt ein Demotape ein und Lockerbie gewannen. Ihr Debüt-Album „Ólgusjór“ erscheint nun auch auf dem europäischen Markt.
Der Sigur Rós-Vergleich will jedoch relativiert werden: Von Post Rock entwickeln sich Lockerbie schrittweise weg und bewegen sich in Richtung Indie Pop, vergleichbar mit der „Með suð í eyrum við spilum endalaust“-Ära ihrer prominenten Landsleute. Entsprechend feinfühlig und clever eröffnet „Laut“, getragen von Þórður Páll Pálssons klarem, hellen Organ und charmant folkigem Odd-Pop, der in wunderbare Rock-Gefilde abdriftet. Die Gitarrenarbeit erinnert ein wenig an Johnny Greenwood (Radiohead) und Jonny Buckland (Coldplay), die immer wieder aufbrandenden Streicher und Bläser an Sufjan Stevens.
Tatsächlich entpuppt sich „Ólgusjór“ (dt. ‚unruhiges Meer‘) als sympathisch isländisches Hitalbum. „Reyklykt“ ist durchaus radiotauglich mit seinem fragilen Beginn und dem schrittweise sich in Szene setzenden Melodieteppich, während „Kjarr“ mit deutlich nachdenklicheren Tönen und Rúnar Steinn Rúnarssons druckvollen Drums besticht. Hier scheinen auch wieder die Post Rock-Wurzeln des Quartetts durch, bevor Streicher die Nummer sanft in Morpheus‘ Arme leiten. Ihre volle Kraft entfalten Lockerbie jedoch in den etwas längeren Nummern, beispielsweise im süßlichen „Í Draumi“ und dem stellenweise überraschend schroffen „Snjóljón“, das vor allem von Guðmundur Hólms leidenschaftlicher Bassgitarre getragen wird.
Je länger man sich mit Lockerbies Debütalbum befasst, desto magischer wird es. Als isländische Antwort auf Coldplay auf der einen und Fortführung der aktuellen Sigur Rós-Platte auf der anderen Seite bewegt sich das Quartett geschickt zwischen Post Rock-Elementen und hymnischem, radiotauglichen Indie-Pop, der auf „Ólgusjór“ der Perfektion bedrohlich nahe kommt. Tatsächlich ist das dem Albumtitel entnommene Meer überaus unruhig, denn Lockerbie setzen dazu an, das europäische Festland im Sturm zu erobern. Nach diesem fantastischen, grenzgenialen Einstand muss man sie wohl in einem Atemzug mit all jenen großartigen Bands nennen, die das kleine Island bislang hervorgebracht hat.
VÖ: 09.03.2012
Kapitän Platte (Cargo Records)
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