Vierkanttretlager – Die Natur greift an

Vierkanttretlager

„Husum, verdammt!“, schrie Jan Windmeier einst in „Insel“ und machte die nordfriesische Kreisstadt im Punk-Mikrokosmos unsterblich. Einige Jahre später tourten Turbostaat mit Vierkanttretlager aus eben jenem Husum, die sich obendrein im zarten Alter von Anfang 20 anschicken, als potentielle Nachfolger von Tocotronic die deutschsprachige Indie-Krone an sich zu reißen. Bei der Veröffentlichung der EP „Penzion Kanonir“ im Sommer 2010 hatten Teile der Band die Schule noch nicht abgeschlossen, nun stellt man sich – gestärkt durch eine gemeinsame Tour mit Casper – mit dem Debütalbum „Die Natur greift an“ dem zarten Hype.

„Leichenschmaus in der Musterhaussiedlung – mit Erben getrunken, mit Witwen geweint“ – Max Richard Leßmann, kaum dem Teenager-Alter entsprungen, kleidet den Opener „Drei Mühlen“ in lyrische Platzpatronen, während seine Mitstreiter dezent gen Math und Post Punk schielen. Den Refrain hebt man sich für den Schluss den Songs auf, ein wenig Nordsee-Wehmut schwingt mit, vermutlich durch das sich im Hintergrund haltende Akkordeon, dem im „Fotoalbum“ eine deutlich prominentere Rolle zukommt. Hier wippen Vierkanttretlager durch eine Art Seemannslied, das Tugend und Jugend in ein nasses Grab bettet.

Man kann sich ausgiebigst über die erfrischend jungen und doch beeindruckend reifen Texte unterhalten, aber auch auf musikalischer Ebene haben die Husumer einiges zu bieten. „Das neue Gold“ beispielsweise könnte auch von The Strokes stammen, „Schluss aus raus“ bietet bestes geschrammelten Indie Rock und „Hooligans“ punktet mit unheimlich entspannten Vibe. Hier begegnet man erneut Casper, der eine Strophe übernommen hat – ein Tausendsassa, der momentan überall zu finden ist. Ans Ende des Albums wurde die Trilogie „Die Natur greift an“ gepackt, die sich mit dem Sinn und Brechen von Konventionen, mit neugewonnener Freiheit und Stillstand befasst – unheimlich ambitioniert für eine junge Band, musikalisch wie textlich beeindruckend umgesetzt.

Vierkanttretlager treten bewusst in bekannte Fußstapfen und weiten diese mit Hingabe aus. Natürlich stehen Tocotronic Pate, auch die abstrakte Lyrik Turbostaats verirrt sich in so manchen Moment. Freilich ist „Die Natur greift an“ kein Hitalbum und damit ein kleiner Arschtritt in Richtung zart knospender Hype, obwohl man beispielsweise „Drei Mühlen“, „Das neue Gold“ und auch das die Trilogie eröffnende „Um Schönheit zu sehen“ für sich stehen lassen könnte. Viel mehr liefern die vier Husumer eine unaufgeregte Platte, gespickt mit hibbeligen Gitarren, abstrakten Klang-Landschaften und bildgewaltigen Texten, ab, mit der man sich gerne immer und immer wieder befasst. In ein paar Jahren wird man „Die Natur greift an“ möglicherweise als Vierkanttretlagers Sturm-und-Drang-Album bezeichnen – zu einem Zeitpunkt, als das Quartett längst zu den Klassikern der deutschen Indie-Landschaft zählen wird.

VÖ: 27.01.2012
Unter Schafen Records (AL!VE)

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